Italienische Behörden hatten das Rettungsschiff Sea-Watch 4 nach einer Hafenstaatkontrolle am 19.09.2020 unter fadenscheinigen Gründen festgesetzt. Am heutigen Dienstag hat das Verwaltungsgericht in Palermo die Festsetzung der Sea-Watch 4 vorläufig aufgehoben. Das Rettungsschiff Sea-Watch 3 wartet derweil mit 363 Geretteten an Bord vor Sizilien weiter auf die Zuweisung eines sicheren Hafens.
Als Gründe für die Festsetzung der Sea-Watch 4 im September nannten die italienischen Behörden nach einer elf Stunden dauernden Inspektion unter anderem, dass das Schiff zu viele Rettungswesten an Bord habe, sowie dass das Abwassersystem nicht für die Anzahl möglicher geretteten Personen ausgelegt sei. Tatsächlich bestätigten die deutschen Behörden Sea-Watch wiederholt, dass die Sea-Watch 4 alle Sicherheitsvorgaben des deutschen Flaggenstaates erfüllt. Bereits Ende Dezember hatte das regionale Verwaltungsgericht Palermo den Fall an den Europäischen Gerichtshof verwiesen, der die generelle Rechtmäßigkeit der Anwendung der europäischen Richtlinie zur Hafenstaatkontrolle auf humanitäre Schiffe prüfen soll. In seinem heutigen Urteil hat das Verwaltungsgericht bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs die Festsetzung vorläufig aufgehoben. Die Richterin stellte klar, dass die Sicherheit der Schiffe auch im Falle von Notsituationen durch den Flaggenstaat und den Schiffskapitän gewährleistet ist. Sie betonte zudem, dass – in jedem Fall – der Transport von geretteten Personen an Bord auf die Zeit beschränkt ist, die für ihre Anlandung an einem sicheren Ort unbedingt erforderlich ist. Somit werden unsere beiden Schiffe – die Sea-Watch 4 als auch die Sea-Watch 3 – wieder im zentralen Mittelmeer operieren können.
„Die Freilassung der Sea-Watch 4 ist erfreulich, aber sie kommt zu spät. Die EU hat Sterbenlassen zu ihrer Migrationspolitik gemacht. 2021 sind bereits drei mal so viele Menschen im Mittelmeer ertrunken, wie das Jahr Tage hat. Wir wollen auch die unrechtmäßige Blockade von Rettungsschiffen in der Zukunft verhindern, dafür kämpfen wir vor dem Europäischen Gerichtshof weiter“, so Johannes Bayer, Vorstand von Sea-Watch.
Die Sea-Watch 4 wird nach Überführung in die Werft und nach Abschluss der durch die lange Festsetzung nötig gewordenen Arbeiten am Schiff schnellstmöglich in ihren nächsten Einsatz starten.
Währenddessen wartet die Sea-Watch 3 vor Sizilien weiter auf die Zuweisung eines sicheren Hafens. Das am 19. Februar in seine erste Mission nach über siebenmonatiger Zwangspause ausgelaufene Schiff konnte zwischen dem 26.02. und 28.02.2021 in fünf verschiedenen Rettungsaktionen 363 Menschen aus Seenot retten. In einem sechsten Einsatz konnte die Crew ein weiteres Boot mit etwa 90 Menschen stabilisieren, bis die italienische Küstenwache eintraf. Ein sicherer Hafen in Europa wird dem Schiff und den Geretteten bislang verwehrt.
Unter den Schiffbrüchigen sind 47 Frauen, einige darunter schwanger, ein Drittel sind Minderjährige, davon 120 ohne Begleitung.
Hugo Grenier, Einsatzleiter auf der Sea-Watch 3: “Wir haben 363 Menschen an Bord, die durch die Hölle gehen mussten, um überhaupt auf diesem Schiff zu landen. Europa verweigert ihnen sichere Fluchtwege und hätte sie ertrinken lassen, jetzt wird ihnen ein sicherer Hafen verweigert. Wir fragen nicht nach Almosen, wir wollen nur dass ihre Rechte respektiert und umgesetzt werden.”
Europas Abschottungs- und Blockadepolitik ist weiterhin tödlich: Alleine 2021 starben laut IOM bereits mindestens 185 Menschen beim Versuch, über das zentrale Mittelmeer zu fliehen. Seit Festsetzung der Sea-Watch 4 am 19. September 2020 mussten 715 Menschen ihr Leben lassen oder gelten als vermisst. Über 3500 weitere wurden in diesem Jahr bereits völkerrechtswidrig durch die von der EU finanzierte sogenannte Libysche Küstenwache zurückgeschleppt.