Um einer Rückführung nach Libyen, wo ihnen Folter, unrechtmäßige Haft oder Schlimmeres drohen zu entgehen, haben gestern 108 Menschen, die auf dem zentralen Mittelmeer gerettet wurden die Kontrolle über den Tanker “El Hiblu 1” übernommen, der im Begriff war, eine völkerrechtswidrige Rückführung nach Libyen durchzuführen. Sea-Watch sieht darin einen verzweifelten Akt der Selbstverteidigung gegen die tödliche europäische Grenzpolitik, verantwortlich dafür sind die europäischen Staaten, die eine völkerrechtskonforme Koordination von Rettungseinsätzen auf dem Mittelmeer verhindern. Die Geretteten werden zur Stunde in Malta an Land gebracht.
Als die Überlebenden auf der “El Hiblu 1” feststellten, dass sie nach Libyen zurückgebracht wurden, sollen sie die Besatzung des Tankers gezwungen haben, den Kurs zu ändern und stattdessen nach Norden, Richtung Europa zu fahren. Heute Morgen gaben die maltesischen Streitkräfte bekannt, dass sie das Schiff 30nm vor der maltesischen Küste gestoppt haben. Sie gingen an Bord des Schiffes und eskortieren nun das Schiff nach Malta.
Italiens Innenminister Salvini bezeichnete die Überlebenden an Bord als Piraten. Sea-Watch sieht in deren Handeln hingegen einen legitimen Akt der Selbstverteidigung um Folter in Libyen zu entgehen.
“Es ist bekannt, dass die Lage für Flüchtende die nach Libyen zurückgebracht werden mitunter Lebensbedrohlich ist. Dass die Geretteten alles versuchen, um dem zu entkommen, ist mehr als verständlich. Was gestern passiert ist war Notwehr, gegen die tödlichen Folgen Europäischer Grenzpolitik, die Verantwortung dafür tragen die Europäischen Regierungen.”, sagt Johannes Bayer, Vorsitzender von Sea-Watch.
„Die schrecklichen Bedingungen für die Menschen in Libyen wurden von einer Vielzahl von Menschenrechtsbeobachtern, einschließlich UN-Organisationen, umfassend dokumentiert. Es ist bekannt, dass Migrierende und Flüchtende systematisch willkürlichen Inhaftierungen, Folterungen, sexueller Gewalt, Entführungen, Erpressungen, Sklaverei und sogar Mord ausgesetzt sind. Es ist völlig legitim, dass Menschen, die sich in Seenot befinden, die Rückkehr nach Libyen verweigern, den Ort, von dem sie wissen, dass sie ihrer Rechte beraubt, entwürdigendste Behandlung erleiden werden.„
Die Rückführung von Überlebenden an einen Ort, wo sie mit begründeter Angst Verfolgung fürchten, ist illegal; sie verstößt gegen das Völkerrecht, und wer sich für die Rückkehr von Migranten und Flüchtlingen nach Libyen einsetzt, kann nicht erwarten, dass Betroffene dies einfach geschehen lassen. Die Europäische Union unterstützt dieses illegale „Refoulement“ durch die so genannte libysche Küstenwache aktiv und gibt damit den Anstoß dafür, dass auch Handelsschiffe diese tödliche Praxis übernehmen. So wie kommerzielle Schiffskapitäne und ihre Unternehmen verurteilt werden müssen, wenn sie schutzlose Menschen in die Hölle, der sie versuchen zu entfliehen, zurückbringen, so muss auch die EU dafür zur Rechenschaft gezogen werden, dass sie Illegalität, Unmenschlichkeit und völlige Missachtung der Menschenrechte zur neuen Norm werden lässt.
Mit Italiens „Schließung“ europäischer Häfen werden auf See gerettete Menschen immer häufiger auf nicht absehbare Zeit auf dem Schiff festgehalten, das sie gerettet hat, bis die EU-Regierungen Ad-hoc-Lösungen für ihre Verteilung in Europa aushandeln. Obwohl nach wie vor inakzeptabel, ist es nicht verwunderlich, dass Handelsschiffe, die Rettungsmaßnahmen durchführen, sich von europäischen Häfen fernhalten und versuchen, Überlebende nach Libyen zu bringen.
„Der Kern des Problems besteht darin, dass die EU, wenn sie die rechtliche Verpflichtung, Menschen in Seenot zu helfen und an Land zu bringen in einem sicheren Hafen, systematisch vernachlässigt, einen Präzedenzfall schafft, den andere staatliche und nichtstaatliche Akteure nachahmen werden. Sie vermittelt jedem, der auf See operiert, die Botschaft, dass Rechtswidrigkeit akzeptabel ist, ja sogar gefördert wird und ohne Folgen ablaufen kann.„, sagt Johannes Bayer, Vorsitzender von Sea-Watch.
“Die Ereignisse von gestern und heute sind der jüngste Aufschrei gegen die tödliche politische Strategie der EU zur Migrationsverhinderung und zeigen, dass ein radikaler Wandel in Politik und Praxis dringend erforderlich ist. Was fehlt sind nicht Kapazitäten, sondern der politische Wille Europas. Es gäbe Wege Situationen wie die gestern zu verhndern, zum Beispiel in Form eines europäischen Seerettungsprogramms, statt noch die letzten Europäischen Schiffe der Mission Sophia abzuziehen.„