Sea-Watch hat beim internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag beantragt, die bestehenden Ermittlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Libyen auf die Handlungen der Libyschen Küstenwache auszuweiten. Vor allem geht es um völkerrechtswidrige Rückführungen von Migrant*innen, wie sie Sea-Watch erst letzte Woche wieder dokumentiert hat. Eine rasche Aufnahme von Ermittlungshandlungen könnte weitere schwerste Verbrechen verhüten.
“Die Zustände in den teils von Milizen und selbsternannten Warlords geführten Lagern Libyens sind bekannt: Erpressung, Folter und sexuelle Ausbeutung sind dort gang und gäbe. Auch unser Auswärtiges Amt hat festgestellt, dass es in Libyen keine geordnete Rechtspflege gibt. Deshalb ist es unumgänglich, schwerwiegende Verstöße durch die internationale Gemeinschaft zu ahnden. Der ICC ist die einzige Instanz, die hier tätig werden könnte”, schätzt Rechtsanwalt Jens Janssen die Lage ein.
“Das Mittelmeer ist die tödlichste Grenze der Welt. Wenn jemand die gefährliche Überfahrt nach Europa riskiert, dann nur, weil in Libyen desaströse Zustände herrschen. Man kann Menschen nicht in ein Land zurückschicken, in dem ihnen Vergewaltigung und Lagerhaft drohen. Das verstößt nicht nur gegen das Non-Refoulement Prinzip der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch gegen das mindeste Gespür für Menschlichkeit”, sagt Geschäftsführer Axel Grafmanns.
Hintergrund
Am 10.05.2017 haben Angehörige der Libyschen Küstenwache eine Rettungsoperation der Sea-Watch 2 unterbrochen. Die Crew war von der Rettungsleitstelle in Rom (MRCC) angewiesen worden, 19 Seemeilen vor der libyschen Küste einem Holzboot in Seenot Hilfe zu leisten. Im Videomaterial ist zu sehen, wie der libysche Kapitän des Patrouillenschiffs eine Waffe auf die Insassen des Bootes richtet.
“Es ist nicht das erste Mal, dass unsere Crews dokumentieren, wie Menschen gegen ihren Willen zurück nach Libyen gedrängt werden. Innerhalb der Hoheitsgewässer können die Libyer genau wie an Land ungesühnt Verbrechen begehen. Aber diese Zurückweisung aus der Anschlusszone verstößt klar gegen das Nicht-Zurückweisungsprinzip”, sagt Grafmanns. Das Recht Libyens, wirtschaftliche Verstöße wie Ölschmuggel oder illegalen Fischfang zu kontrollieren, rechtfertigt keine Interventionen der Behörden gegen Bootsflüchtlinge in der Anschlusszone (12 bis 24 Seemeilen vor der libyschen Küste). Das Abfangen und Umleiten von Flüchtenden ist in keinem Fall eine „notwendige“ Maßnahme für Ermittlungen zu Verstößen gegen libysches Gesetz.
In ihrer Untersuchung des Non-Refoulement Prinzips schreibt Seline Trevisanut, Professorin für Internationales Recht an der Universität Utrecht: „Der Schutz von untergeordneten Interessen, wie dem Verhindern einer Verletzung des Migrationsgesetzes, rechtfertigt keine Art von Interventionen. […] Folglich muss ein Küstenstaat, sobald er seine Rechtssprechungsbefugnis ausübt um ein Schiff abzufangen und umzuleiten, prüfen, ob dieser Akt die Insassen des betroffenen Schiffs der Gefahr von Verfolgung, Folter oder anderer menschenunwürdiger Behandlung aussetzt. Es bedarf bei staatlichen Operationen zur Verhinderung von rechtswidriger Migration auf hoher See vor allem der Verhältnismäßigkeit.“
Video zum Vorfall/ Raoul Kopacka: