12 Tage nach der ersten Rettung der ‚Sea-Watch 4 powered by United4Rescue‘, konnten 353 Menschen in Palermo, Italien, von Bord des Schiffes gehen. Europäische Staaten weigern sich weiterhin, Schiffbrüchige zu retten und weisen stattdessen zivile Akteure an, bei der Rettung zu helfen. Im Hafen angekommen, müssen zivile Akteure Repressionen und die Beschlagnahme ihrer Schiffe befürchten, weil sie behördlichen Anweisungen folgten und der pflichtgemäßen Rettung von Menschen nachkamen.
Die Sea-Watch 4 konnte zwischen dem 22. und 24. August innerhalb von 48 Stunden drei Boote mit insgesamt 202 Personen an Bord aus Seenot retten. Nach der medizinischen Evakuierung eines Jugendlichen mit schweren Treibstoffverbrennungen am Mittwoch letzter Woche, warteten die übrigen 201 geretteten Personen an Bord von Sea-Watch 4 auf die Zuweisung eines sicheren Hafens. Ein sicherer Hafen war bereits am 23. August in Malta und Italien angefragt worden, den sicheren Ländern, die der Rettung geographisch am nächsten liegen. Malta hatte die Anfrage der Sea-Watch 4 bereits abgelehnt.
Nach den zunächst unbeantworteten Hilferufen des Rettungsschiffes Louise Michel, das mit 89 geretteten Personen an Bord einem weiteren in Seenot geratenen Boot mit 112 Personen half, änderte die Sea-Watch 4 am 29. August den Kurs, um dem manövrierunfähigen Schiff zu helfen. Vor der Ankunft der Sea-Watch 4 evakuierte ein Schiff der italienischen Küstenwache 49 Frauen und Familien mit Kindern und brachte sie nach Lampedusa, ohne jedoch zur Louise Michel zurückzukehren. Der Kapitän der Sea-Watch 4 wurde von den maltesischen Behörden angewiesen, Personen von der Louise Michel an Bord der Sea-Watch 4 zu transferieren. Malta war mit einem Schiff der maltesischen Streitkräfte vor Ort, machte jedoch noch einmal deutlich, dass es nicht bereit ist, diese Verantwortung zu übernehmen und überließ es der Sea-Watch 4, diese – eigentlich staatliche – Aufgabe zu erfüllen.
Heute, zwölf Tage nach der ersten durchgeführten Rettung, konnten die 353 Überlebenden in Palermo, Italien, von Bord der Sea-Watch 4 gehen, wo die geretteten Menschen auf das Quarantäneschiff ‚GNV Allegra‘ transferiert wurden.
“Wir sind froh und dankbar, dass die ‚Sea-Watch 4 powered by United4Rescue‘ nun endlich in Palermo anlegen darf. Das ist eine große Erleichterung für all die Menschen, die nach ihrer Rettung an Bord unseres Bündnisschiffes in den vergangenen Tagen auf einen sicheren Hafen gewartet haben. Unser Dank gilt allen, die die Rettung der über 350 Menschen möglich gemacht und getragen haben: All unseren Bündnispartnern und Spendern und dem Team von Sea-Watch und Ärzte ohne Grenzen. Sie haben in den vergangenen Tagen einfach großartiges geleistet. Eine Aufgabe, die eigentlich von den EU- Mitgliedsstaaten übernommen werden muss. Europa darf nicht länger tatenlos zusehen, wie Menschen an seinen Grenzen ertrinken”, sagt Michael Schwickart, Vorstand von United4Rescue.
Während in den letzten Monaten Tausende versuchten, in seeuntüchtigen Booten aus Libyen zu fliehen, weigerten sich Malta und Italien, Menschen in Seenot zu retten und schlossen ihre Häfen für NGO-Schiffe. Fast alle aktiven Rettungsschiffe, einschließlich der Sea-Watch 3, werden aus politischen Gründen wegen angeblicher Sicherheitsmängel festgehalten oder durch unerfüllbare Bedingungen daran gehindert, im Mittelmeer zu operieren.
„Während die Sea-Watch 3 immer noch im Hafen blockiert wird, da sie dafür bestraft wird, zu viele Leben gerettet zu haben, mussten wir erneut die Lücke staatlicher Verantwortungslosigkeit füllen. Es ist nicht hinnehmbar, dass die zivile Seenotrettung erst staatliche Aufgaben übernehmen muss, sich tagelang ohne einen sicheren Hafen wiederfindet und sich dann um die Beschlagnahmung ihrer Rettungsschiffe sorgen muss, weil sie Leben gerettet hat. Wir werden dafür bestraft, dass wir die Anweisungen der Behörden befolgen und die Pflicht der Rettung erfüllen, wo Europa sich wegduckt. Die EU muss die Verantwortung für die von ihr selbst verursachte humanitäre Katastrophe im Mittelmeer übernehmen, auf See und an Land“, sagt Philipp Hahn, Einsatzleiter der Sea-Watch 4.
Die unterlassene Hilfeleistungen der EU-Staaten bei Seenotfällen, sowie ihre Weigerung, die Verantwortung für ihre Such- und Rettungszonen zu übernehmen und einen sicheren Hafen unverzüglich zuzuweisen, sind Teil einer Abschottungspolitik, die Menschen in Not und Seenotrettungsorganisationen alleine auf See zurücklässt. Der Fall des Handelsschiffes Etienne, das vor vier Wochen 27 in der maltesischen Such- und Rettungszone in Seenot geratene Menschen gerettet hat und dem Malta nach wie vor einen sicheren Hafen verweigert, ist als klares Signal an die Handelsschifffahrt zu verstehen: Wer die Rettungspflicht erfüllt, darf keine Hilfe erwarten und bleibt auf sich alleine gestellt.
Europas Abschottungs- und Blockadepolitik ist nach wie vor tödlich: Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind allein in der Woche der Abfahrt der Sea-Watch 4 mindestens 45 Menschen im zentralen Mittelmeer ertrunken, darunter fünf Kinder. Lokale Fischer waren die einzigen, die eingeschritten sind, um diejenigen zu retten, die noch gerettet werden konnten. Teams von Ärzte ohne Grenzen sprachen mit Überlebenden des Schiffbruchs, die wieder in Libyen sind. Sie sind verzweifelt und erschöpft. Die Organisation AlarmPhone berichtet von weiteren Toten.
Die Zahl der Menschen, die in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 versuchten, auf dem Seeweg aus Libyen zu fliehen, hat sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum vervierfacht. Die Mehrheit derer, die von der nordafrikanischen Küste aus aufgebrochen sind, haben es nie geschafft. Da sich der rücksichtslose Umgang Europas mit der Migration in immer groteskeren Beispielen manifestiert, ist es notwendig, Aufmerksamkeit auf die gefährliche Pflichtvernachlässigung der EU im zentralen Mittelmeerraum zu richten.