Die zivile Rettungsorganisation Sea-Watch kritisiert das am 28.12.2022 von der ultrarechten italienischen Regierung beschlossene Dekret scharf. Dieses sieht unter anderem vor, dass Rettungsorganisationen empfindliche Strafen drohen, sollten sie nach einer ersten erfolgten Rettung nicht unverzüglich die Such- und Rettungszone verlassen. Bereits kurz zuvor hatte die Regierung eine neue Praxis im Umgang mit Rettungsschiffen eingeführt. Durch gezielte Zuweisung weit entfernter Orte als sichere Häfen für die Ausschiffung Geretteter sollen Rettungsschiffe möglichst lange von der Rettungszone ferngehalten werden.
Das am 28.12.2022 beschlossene Dekret zielt direkt auf zivile Seenotrettungsorganisationen ab und nennt explizit Schiffe, die systematisch oder nicht nur gelegentlich Such- und Rettungseinsätze durchführen als Geltungsrahmen. Es beinhaltet verwaltungsrechtliche Sanktionen, die von Geldstrafen bis 50.000€, Festhalten des Schiffes bis zur Beschlagnahme und Einziehung des Schiffes reichen.
Das Dekret schreibt unter anderem vor, dass zivile Rettungsorganisationen unmittelbar nach Ausführung einer ersten Rettung einen sicheren Hafen anfordern und diesen unverzüglich ansteuern müssen. Werden zivile Rettungsschiffe nach erster abgeschlossener Rettung in einen Hafen gezwungen, während weitere Menschen in Seenot sind, verstößt dies jedoch gegen die im Völkerrecht verankerte Pflicht einer jeden Kapitän:in zur Rettung. Das Unterlassen dieser Pflicht ist strafbar.
„Das neue Dekret der italienischen Regierung ist eine Aufforderung zum Ertrinkenlassen. Schiffe in den Hafen zu zwingen, verstößt gegen die Pflicht zur Rettung, sollten noch weitere Menschen in Seenot sein. Wir werden uns auch diesem Versuch entgegenstellen, zivile Seenotrettung zu kriminalisieren und Flüchtende ihrer Rechte zu berauben.“ sagt Oliver Kulikowski, Sprecher von Sea-Watch.
Zudem sollen laut Dekret Kapitän:innen ziviler Rettungsschiffe verpflichtet werden, von Geretteten eine Erklärung über ihre Bereitschaft zur Beantragung internationalen Schutzes einzuholen. Dies entbehrt allerdings jeder rechtlichen Grundlage. Vielmehr hat der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) klargestellt, dass Schiffskapitän:innen nicht für die Feststellung des rechtlichen Status der geretteten Personen verantwortlich sind. Vielmehr sollten sie die geretteten Personen darüber informieren, dass die Kapitän:in nicht befugt ist, einen Asylantrag anzuhören, zu prüfen oder zu entscheiden. Jede Person hat das Recht auf Zugang zu fairen Asylverfahren, wozu unter anderem der Zugang zu Übersetzer:innen, die Wahrung der Privatsphäre bei den Anhörungen, die Gewährleistung des Zugangs zu einem angemessenen Rechtsbeistand und die Bereitstellung geeigneter Rechtsmittel gehören – das alles ist auf Rettungsschiffen nicht umsetzbar.
Bereits zuvor hatte die italienische Regierung ihre Praxis in Bezug auf die Zuweisung sicherer Häfen geändert: Rettungsschiffen werden gezielt weit entfernte Orte zur Ausschiffung geretteter Personen zugewiesen, was einen erneuten Einsatz verzögert und so die eklatante Rettungslücke im Mittelmeer weiter vergrößert.
„Die politisch motivierte Zuweisung weit entfernter Häfen gefährdet die Gesundheit geretteter Menschen und soll Rettungsschiffe möglichst lange vom Mittelmeer fernhalten. Die italienische Regierung macht sich dadurch direkt für gesundheitliche Folgen an Bord der Rettungsschiffe verantwortlich“, so Hendrike Förster, Ärztin bei Sea-Watch.
Auch in diesem Jahr haben laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) über 2000 Menschen ihr Leben auf der Flucht über das Mittelmeer verloren, über 25.000 seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2014.