Der Airborne-Jahresbericht 2023 gibt einen Überblick über die von uns dokumentierten Menschenrechtsverletzungen im zentralen Mittelmeer.
Der Bericht analysiert das Jahr 2023 unter migrationspolitischen Gesichtspunkten, wobei der Schwerpunkt auf der Externalisierung der europäischen Grenzen und deren Kontrolle liegt. Anhand exemplarischer Fälle werden in vier Kapiteln die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Jahr 2023 skizziert: die anhaltende und systematische Tatenlosigkeit durch die Europäische Union, insbesondere durch Italien und Malta; die ungezügelte Stärkung der EU-Agentur Frontex und deren Zusammenarbeit mit libyschen Milizen; die von der EU an verschiedene libysche Milizen, darunter die sogenannte libysche Küstenwache, ausgelagerte Grenzgewalt und die Entwicklung Tunesiens als Hauptabfahrtsland über die zentrale Mittelmeerroute.
Verbleib der gesichteten Boote in Seenot
- 39 Boote mit rund 2.441 Personen wurden illegal abgefangen und an unsichere Orte zurückgebracht
- 116 Boote mit rund 8.157 Personen sind in Europa angekommen.
- Der Ausgang von 156 Booten mit rund 5.461 Personen ist noch unbekannt.
Politische Analyse: Europas Angriffe auf die Menschenrechte
Neofaschistische Politik in Italien und der EU
Italien, als Hauptzielland für die Ankunft von Menschen auf der Flucht, fährt derzeit einen besonders aggressiven Anti-Migrationskurs. Dies ist jedoch nur möglich, weil die Europäische Union dahinter steht und die meisten anderen Mitgliedsstaaten ein Auge zudrücken und froh sind, nicht in Italiens Lage zu sein.
Verweigerte Hilfeleistung tötet Tausende
2023 jähren sich auch die beiden Schiffsbrüche vom Oktober 2013 vor Lampedusa, bei denen rund 600 Menschen ums Leben kamen. Im Jahr 2023, zehn Jahre später, hat sich nichts geändert. Viele Schiffbrüche bleiben unbekannt und unsichtbar. Bei zwei großen Schiffbrüchen an den Küsten Europas im Jahr 2023, bei denen 750 Menschen ums Leben kamen, zeigt sich einmal mehr, wie Europäische Akteure durch Verweigerung von Hilfe töten. Am 26. Februar starben mindestens 94 Menschen vor der kalabrischen Küste von Crotone. Am 14. Juni starben rund 650 Menschen im Ionischen Meer, nur 50 Seemeilen vor der peloponnesischen Stadt Pylos.
Frontex: Komplizenschaft bei Schiffsbrüchen
Mit Frontex hat die EU den perfekten Partner in Crime gefunden. Mit ihrer Hightech-Überwachung ist die Agentur über alles informiert, was im zentralen Mittelmeer passiert. Da sie jedoch keine Schiffe hat, kann sie nicht selbst eingreifen. Stattdessen leitet sie Informationen an Akteure weiter, die ein starkes Interesse daran haben, Menschen daran zu hindern, sicher die europäischen Küsten zu erreichen. In den meisten Fällen beschließen diese Akteure daher, keine Rettungsmaßnahmen einzuleiten. In Fällen, in denen dies zu Schiffbrüchen führt, wie etwa vor Crotone und Pylos, spielen Frontex und die nationalen Behörden ein altbekanntes Theater: Sie schieben sich gegenseitig die Schuld zu, verweisen auf ihre Einsatzpläne und rechtlichen Rahmenbedingungen, die sie offenbar daran hindern, Menschenleben zu retten, und beteuern, dass sie es getan hätten, ihnen aber die Hände gebunden seien.
Team Europa: Vermittlung von Deals mit Diktatoren
Ein weiterer wichtiger Aspekt der europäischen Angriffe auf die Menschenrechte sind neben dem Ignorieren von Menschen in Not und der Behinderung von zivilen Rettungsaktionen die Deals mit Diktatoren und Autokraten, die darauf abzielen, Menschen an der Flucht zu hindern.
Auf der Suche nach weiteren berüchtigten Machthabern, mit denen sie Deals aushandeln können, um die Migration um jeden Preis zu stoppen, wandten sich italienische und maltesische Politiker an die Mächte im Osten Libyens.Zuvor hatten sich die EU und Italien bei ihrer Zusammenarbeit auf die international anerkannten Kräfte in Tripolis konzentriert.Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und eine maltesische Delegation mit Ministern und Vertretern der maltesischen Streitkräfte trafen sich mit General Khalifa Haftar, dessen Sohn Saddam Haftar die bewaffnete Tariq-Ben-Zeyad-Brigade (TBZ) anführt. Diese ist für schwere Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich, die gegen Menschen auf der Flucht und Libyer:innen begangen werden.
Auf der Grundlage der oben genannten Erkenntnisse fordern wir alle beteiligten Akteure auf, die gewaltvolle Grenzpolitik zu beenden und die Menschenrechte aller Menschen zu achten, insbesondere derjenigen, die zu fliehen versuchen. Ein Ende des Sterbens im Mittelmeer ist politisch machbar. Wir brauchen sichere und legale Übergänge für alle.