Am Abend vor Abflug drückt Pilot Manos mir einen orangefarbenen Ganzkörperanzug in die Hand. „Damit man uns auch findet falls wir überm Meer abstürzen“, sagt er und ich versuche meine Flugangst runterzuschlucken. Nun sitzen wir zu viert in dem kleinen Cockpit des Luftaufklärungsflugzeugs Moonbird. Manos, Flight-Operator Daniel, die Ärztin Stef und ich. An unserer Nase klemmt ein Fernglas, auf den Ohren tragen wir Kopfhörer und meine Flugangst ist auf Malta geblieben – in dieser Größenordnung fühlt sich Fliegen fast wie Autofahren an. Von oben schimmert das Wasser wie eine blau-unterlegte Klarsichtfolie. Kleine Schiffe ziehen ihre Kreise und keine Wolke ist am Himmel zu sehen. Über allem liegt das gleichmäßige Motorengeräusch des kleinen Sportfliegers, der uns Richtung Einsatzgebiet fliegt.
Von dem Flughafen auf Malta bis zur internationalen Seegrenze entlang der libyschen Küste brauchen wir eine knappe Stunde. Das Suchgebiet von Ost nach West überfliegen wir in weniger als zwei. Das Mittelmeer schrumpft in kürzester Zeit von der Größe eines Ozeans zu der eines weitläufigen Sees. Wie kann es sein, dass hier so viele Menschen verloren gehen, vergessen werden?
Seit April diesen Jahres operiert die Moonbird über dem Mittelmeer. Die zivile Luftaufklärungsmission startete als gemeinsames Projekt von Sea Watch und Humanitarian Pilots Initiative (HPI) mit finanzieller Unterstützung durch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), um eine weitere Lücke in der zivilen Seenotrettung zu schließen. Sie übernimmt die Funktion Rettungseinsätze zu koordinieren und als unabhängige Beobachterin die unterlassene Hilfeleistung an Europas tödlicher Seegrenze zu dokumentieren. Nach ihrem ersten Einsatz am Osterwochenende vor einigen Monaten, wo Dank des Blicks von oben mehr als 100 Menschen in letzter Sekunde vor dem Ertrinken gerettet werden konnten, ist sie regelmäßig im Einsatz.
So auch heute. In geordneten Bahnen fliegen wir das Suchgebiet von Osten nach Westen ab, und wieder zurück. Wir kreuzen Frachter und Militärschiffe aber auch die kleineren Boote der NGOs auf unserem Weg. Die klare Sicht lässt uns die Hochhäuser von Tripoli am Horizont erahnen. Der Tag beginnt ruhig mit einem Schlenker über dem Suchgebiet östlich der libyschen Hauptstadt. Auf einer optimalen Suchhöhe von 1500 Fuß über dem Meeresspiegel wird es heiß unter dem Overall. „I have a visual at nine o‘clock“ schallt es plötzlich durch meine Kopfhörer. Daniel hat ein Boot
gesichtet. Ein lautes Piepen ertönt als Manos den Autopiloten ausschaltet, gefolgt von dem Stich in der Magengrube, als der kleine Sportflieger in den Senkflug geht. Mit dem bloßen Auge können wir schon bald das überfüllte Schlauchboot erkennen. Die Menschen sitzen und stehen dicht an dicht gedrängt, die meisten tragen keine Schwimmveste. Sie winken als wir über sie hinweg fliegen, mit beiden Armen weit ausgestreckt. Eine Person hält ein Baby in die Luft. Von hier oben können wir erkennen, dass das Boot keinen Antrieb mehr hat. Sie treiben vor sich hin ohne Orientierungspunkte und ohne größere Schiffe in unmittelbarer Nähe.
Bei diesem Anblick wird mir klar: Der Eindruck von hier oben, der alles klein und überschaubar wirken lässt, trügt. Die Schlauchboote liegen meist so tief im Wasser, dass sie auf den Radaren der Rettungsschiffe nicht auftauchen. Stattdessen suchen die Sea Watch 2 und die Schiffe anderer ziviler Seenotrettungsorganisationen das Suchgebiet mit Ferngläsern ab um die kleinen Boote am Horizont zu finden. Und genau hier kommt die Moonbird ins Spiel. Innerhalb kürzester Zeit verschafft sie einen Überblick: Wie viele Schlauchboote sind unterwegs? Wo befinden sie sich? Ist
ein Schlauch geplatzt? Tragen die Menschen Rettungsvesten oder nicht? Sie kann Boote früher sichten und sinkende Boote priorisieren. Sie behält die Übersicht, wenn diese in der Hektik der Rettungsoperationen verloren geht.
Flight-Operator Daniel arbeitet derweil auf Hochtouren. Während uns Manos sicher über dem Boot kreisen lässt sendet Daniel Koordinaten an die Rettungsleitstelle (MRCC) in Rom und funkt mit der Sea Eye um die Rettung einzuleiten. Gleichzeitig dokumentiert er minutiös unsere Position und die Abläufe unseres Einsatzes. In der Luft gelten ähnlich wie auf See strenge Regeln, alle Einsätze werden in Absprache mit dem MRCC Rom koordiniert.
Was die Moonbird und ihre Crew dagegen nicht kann ist direkt vor Ort eingreifen. Des öfteren ist sie schon Zeuge geworden, wenn für die Menschen auf sinkenden Booten die Rettung zu spät kommt oder Personen Menschenrechtswidrig nach Libyen zurückgeschoben werden. Daniel betont: „Wir sind auch hier um politischen Druck aufzubauen. Die EU könnte wenn sie wollte genügend Rettungsressourcen zur Verfügung stellen. Solange sie dies nicht tut unterstreichen wir mit unserer Präsenz weiter die Forderung nach sicheren Fluchtwegen.“
Heute geht alles gut. Während mehrere NGO Schiffe die Rettungsoperationen der von oben gesichteten Boote durchführen, zwingt uns unsere Tankanzeige zur Rückkehr nach Malta. Sicher ist aber: die zivile Luftaufklärungsmission wird auch in den nächsten Tagen wieder fliegen.
Um die bestmöglichen Erfahrungen zu bieten, verwenden wir und unsere Partner Technologien wie Cookies, um Geräteinformationen zu speichern und/oder darauf zuzugreifen. Durch die Zustimmung zu diesen Technologien können wir und unsere Partner personenbezogene Daten wie das Surfverhalten oder eindeutige IDs auf dieser Website verarbeiten. Wenn du nicht zustimmst oder die Zustimmung widerrufst, kann dies bestimmte Merkmale und Funktionen beeinträchtigen.
Klicke unten, um dem oben Gesagten zuzustimmen oder eine detaillierte Auswahl zu treffen. Deine Auswahl wird nur auf dieser Seite angewendet. Du kannst deine Einstellungen jederzeit ändern, einschließlich des Widerrufs deiner Einwilligung, indem du die Schaltflächen in der Cookie-Richtlinie verwendest oder auf die Schaltfläche "Einwilligung verwalten" am unteren Bildschirmrand klickst.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.