Die Seenotrettungsorganisation Sea-Watch reicht Strafanzeige gegen italienische Behörden bei der Staatsanwaltschaft von Agrigent ein, unter anderem wegen mehrfach fahrlässiger Tötung. Am 2. September hatte Sea-Watch der italienischen Küstenwache einen Seenotfall gemeldet, der später Schiffbruch erlitt. 21 Menschen ertranken, bevor italienische Behörden Rettungsmaßnahmen ergriffen. Die Anzeige, die von drei Überlebenden und dem Sohn eines Ertrunkenen unterstützt wird, stützt sich neben Zeugenaussagen von Überlebenden auf Fotobeweise und forensische Gutachten.
Am 2. September 2024 entdeckte das von Sea-Watch betriebene Beobachtungsflugzeug Seabird 2 ein Boot in Seenot mit 28 Menschen an Bord und meldete die Situation sofort den zuständigen Behörden. Die letzte Sichtung des Bootes erfolgte 26 Seemeilen vor Lampedusa, eine Entfernung, die die italienische Küstenwache in etwa einer Stunde hätte zurücklegen können. Die italienischen Behörden blieben jedoch inaktiv, bis am Morgen des 4. September ein Patrouillenboot der Küstenwache schließlich, nur 10 Seemeilen von der Insel entfernt, 7 Überlebende rettete. 21 weitere Menschen überlebten die unterlassene Hilfeleistung Italiens nicht.
Sea-Watch hat gemeinsam mit Überlebenden des Schiffsunglücks und Angehörigen der Opfer Anzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft von Agrigent soll die Umstände aufklären, die zum Tod der 21 Menschen geführt haben. Die Strafanzeige wird von Sea-Watch, Ibrahim Hsian (Sohn von Mohammad Hsian, der bei dem Schiffbruch ertrank) und drei der Überlebenden eingereicht. Die Staatsanwaltschaft soll prüfen, ob folgende Straftaten begangen wurden: Schiffbruch durch Fahrlässigkeit, mehrfache fahrlässige Tötung, unterlassene Hilfeleistung und Verweigerung der Erfüllung von Amtspflichten.
“Das tausendfache Ertrinken und die Straflosigkeit der Verantwortlichen müssen ein Ende haben. Wer der Pflicht zur Rettung nicht nachkommt, gehört auf die Anklagebank.“ sagt Oliver Kulikowski, Sprecher von Sea-Watch.
Der Schiffbruch des 2. September ist kein Einzelfall. Im Jahr 2024 wurden im Mittelmeer über 1.700 Personen als tot oder vermisst gemeldet. Seit 2014 sind mehr als 30.000 Menschen im Mittelmeer ums Leben gekommen, was als tödlichste Grenze der Welt gilt. Die Abschottungspolitik der Europäischen Union verhindert keine verzweifelten Fluchtversuche über das Mittelmeer, sondern macht solche Versuche nur gefährlicher und tödlicher. Die Antwort darauf kann nicht mehr Abschottung und mehr Tote sein, sondern sichere und legale Fluchtwege.