Das zivile Rettungsschiff Sea-Watch 3 ist soeben mit 47 geretteten Personen an Bord in italienische Hoheitsgewässer eingefahren. Gestern Abend hatte die italienische Küstenwache die Anlandung von 18 Frauen, Kindern und Männern angeordnet und durchgeführt. Die nicht zu den Familien gehörenden Menschen mussten an Bord zurückbleiben, unter ihnen acht unbegleitete Minderjährige, eine schwangere Frau und eine Person mit Behinderung. Nach dieser inakzeptablen, diskriminierenden Trennung wurde die medizinische und psychologische Situation an Bord des Schiffes untragbar und die Besatzung konnte die Sicherheit der geretteten Personen nicht mehr gewährleisten.
Am 15. Mai hatte die Crew der Sea-Watch 3 65 Menschen aus einem in Not geratenen Schlauchboot etwa 30 Seemeilen vor der libyschen Küste gerettet. Wieder einmal hatten die zuständigen Behörden die Verantwortung von sich gewiesen und die verpflichtend im Seerecht vorgeschriebene Zuweisung eines sicheren Hafen abgelehnt. Die einzige vermeintliche ‘Behörde’, die irgendwelche Anweisungen gegeben hatte, war die sogenannte Libysche Küstenwache, die die Sea-Watch 3 am Morgen des 16. Mai drangsalierte, die Such- und Rettungszone vor Libyen zu verlassen.
Nach der Begegnung mit den Libyern fuhr das Schiff nach Norden und blieb noch anderthalb Tage außerhalb der italienischen Hoheitsgewässer auf hoher See. Gestern führte die italienische Küstenwache schließlich eine höchst ungewöhnliche Teil-Evakuierung in internationalen Gewässern durch: 18 Personen, die zu Familien mit kleinen Kindern gehören, wurden von einem Schiff der Küstenwache an Land gebracht. „Es ist eine so unverfrorene Heuchelei, dass Italien angesichts der bevorstehenden EU-Wahlen hastig Familien mit kleinen Kindern von der Sea-Watch 3 evakuiert, während 47 weitere Menschen, die die gleichen Rechte genießen und eine schnelle Lösung ebenso verdienen, an Bord gelassen werden, darunter acht unbegleitete Minderjährige“, sagt Philipp Hahn, Einsatzleiter der Sea-Watch 3. „Menschenrechte gelten für alle und dürfen nicht für politische Spiele außer Kraft gesetzt werden.„
Heute, am Tag nach der Anlandung der Familien, verschlechterte sich die ohnehin heikle Situation an Bord noch weiter, sodass Kapitän und Besatzung der Sea-Watch 3 nicht mehr für den Schutz der Geretteten garantieren konnten. „Die meisten der Geretteten sind seekrank. Für die Menschen, die sich aufgrund ihrer Zeit in Libyen und auf dem Schlauchboot bereits in einem schlechten Gesundheitszustand befinden, ist das gefährlich. Es besteht ein hohes Risiko der Dehydrierung, das unter Umständen sogar lebensbedrohlich werden kann. Psychologisch gesehen führte die Tatsache, dass sie gestern nicht mit den Familien von Bord gehen durften, zu großer Frustration für die zurückgelassenen Menschen, von denen einige bereits Gedanken über Selbstverletzung und Selbstmord äußerten“, sagt Carolin Möhrke, Ärztin an Bord von Sea-Watch 3.
Deshalb – und im Wissen, dass sich die vermeintliche Schließung der Häfen durch den italienischen Vize-Premierminister wiederholt als nichtig erwiesen hat – hat das Schiff nun unter Berufung auf den humanitären Notstand Kurs auf den Hafen von Lampedusa gesetzt. Die schutzbedürftigen Menschen an Bord dürfen nicht weiter als Geiseln politischer Spielchen auf See festgehalten werden.