Die Organisation SOS Humanity wird in Zukunft unsere Sea-Watch 4 betreiben. Während Sea-Watch neue operationelle Wege beschreitet, wird das Schiff unter dem neuen Namen Humanity 1 weiterhin Menschen im zentralen Mittelmeer vor dem Ertrinken bewahren. Wir haben Till von SOS Humanity getroffen und mit ihm über das nächste Kapitel der Sea-Watch 4 gesprochen.
Hey Till, wer bist du und wie bist du zur zivilen Seenotrettung gekommen?
Ich bin Till Rummenhohl – Head of Operation bei SOS Humanity. Ich bin 30 Jahre alt und studierter Schiffbauingenieur und Meerestechniker.
Während meines Studiums wuchs in mir der Wunsch, mehr Erfahrungen in der Arbeit auf großen Schiffen zu sammeln. Dies empfand ich als wichtig, sollte ich später einmal große Stahlschiffe selber entwerfen wollen. Seit meiner Kindheit war ich auf dem Wasser aktiv. Ich lernte und lehrte Segeln, war Co-Skipper auf größeren Segelyachten. Das Leben auf See und die Nautik waren mir also von klein auf vertraut.
2015 rief ich in Zusammenarbeit mit meiner Uni Sprachkurse und Buddyprogramme für Flüchtende ins Leben. In diesem Kontext hörte ich davon, dass SOS Mediterranee ein großes, ziviles Rettungsschiff – die Aquarius – ins zentrale Mittelmeer schicken würde. Ich sah die einmalige Chance, meine humanitäre Leidenschaft mit dem Wunsch nach der Arbeit auf See zu verbinden. Im August 2016 ging ich in Trapani an Bord und fuhr zwei Monate in den Seenotrettungseinsatz. Wieder zu Hause ließ mich das Erlebte nicht mehr los. 2017 nahm ich an zwei weiteren Rettungseinsätzen im Mittelmeer teil. 2018 wurde ich schließlich stellvertretender Vorsitzender des deutschen SOS Mediterranee Vereins. Seit 2021 bin ich nun als Leiter der Operativen Abteilung bei SOS Humanity angestellt und verantwortlich dafür, die Humanity 1 in den Einsatz zu bringen.
Was ist die Vision von SOS Humanity? Wer steht dahinter?
Als zivile Seenotrettungsorganisation setzen wir uns für eine Welt ein, in der die Menschenrechte aller gewahrt werden. SOS Humanity steht für Menschlichkeit auf See und an Land. Wir engagieren uns dafür, dass kein Mensch mehr auf der Flucht ertrinken muss und jede:r mit Würde behandelt wird.
Dahinter steht ein Team aus motivierten und engagierten Festangestellten und Ehrenamtlichen. Wir haben ein mehrheitlich weibliches Team in der Geschäftsstelle in Berlin und eine 28-köpfige internationale Crew aus erfahrenen Seeleuten, Seenotretter:innen, Mediziner:innen und Schutzbeauftragten.
Ein respektvolles Arbeitsumfeld ist uns sehr wichtig! Wir wollen, dass sich alle Menschen bei uns unabhängig von ihrer ethnischen, sozialen, wirtschaftlichen, geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung sicher fühlen und in der Lage sind, ihre Aufgaben zu erfüllen.
Für alle Menschen hinter SOS Humanity gilt unser Verhaltenskodex: Sowohl an Land als auch auf See haben wir null Toleranz jedweder Form von Diskriminierung und Machtmissbrauch.
Wer staatliche Aufgaben wie Seenotrettung zivil organisieren muss, braucht starke Bündnispartner:innen. Deswegen wird die Sea-Watch 4 zur Humanity 1: Ein Zeichen der Solidarität innerhalb der zivilen Flotte. Was bedeutet es konkret für Dich, Teil der zivilen Flotte zu sein?
Ich denke es ist eine große Besonderheit, dass sich derart viele Menschen aus unterschiedlichen Organisationen so sehr mit einer Sache verbunden fühlen, dass sie sich organisationsübergreifend engagieren und sich gegenseitig unterstützen. Die Zusammenarbeit innerhalb der zivilen Flotte und mit Sea-Watch ist gelebte Solidarität und ich bin stolz, Teil dieses großen Vorhabens sein zu dürfen. Ich habe großen Respekt vor dieser Solidarität und Selbstlosigkeit und empfinde große Dankbarkeit für die Unterstützung, die uns aus der gesamten Flotte entgegengebracht wird. Nur wenn wir miteinander arbeiten und uns gegenseitig stärken, können wir gemeinsam etwas verändern.
Wie sehen die nächsten Monate für SOS Humanity aus? Was ist in Planung?
Aktuell ist die Sea-Watch 4 noch im Trockendock in Burriana für wichtige Reparaturen und eine routinemäßige Inspektion. Diese Zeit wird auch dazu genutzt, um eine saubere Übergabe für unsere neue Crew zu realisieren. Die erfahrenen Crews von Sea-Watch lernen unser Team an und erklären ihnen alle Tricks und Kniffe. Denn jedes Schiff ist ein Unikat und hat sein ganz eigenes Innenleben.
Anschließend wird das Schiff zu seiner Reise nach Palermo aufbrechen, wo es am 19. August auf den Namen „Humanity 1“ getauft wird. Nach einer einwöchigen Einsatzvorbereitung und Quarantäne an Bord bricht unsere Crew dann schon in ihren ersten Einsatz ins zentrale Mittelmeer auf. Es soll die erste von insgesamt vier Einsatzrotationen werden, die wir dieses Jahr noch fahren wollen. Unser Ziel ist es, mit der Humanity 1 so schnell wie möglich Menschen in Seenot zur Hilfe zu kommen und uns weiter für mehr Menschlichkeit auf dem Mittelmeer einzusetzen.
Gibt es noch etwas, was du gerne mit unseren Leser:innen teilen würdest?
Etwas, was ich nie müde werde zu sagen: Egal wie groß die Zahlen in den Statistiken wirken mögen, egal wie negativ die Narrative in den Medien gegenüber Flüchtenden noch werden, wie stark der Gegenwind aus Politik und Teilen der Gesellschaft wirken mag. Wir dürfen nie vergessen, dass es hierbei um Menschen geht! Menschen, von denen jede:r sein ganz eigenes Schicksal, seine ganz individuelle Vergangenheit hat. Sie begeben sich in die größte Lebensgefahr auf der Suche nach Schutz und Sicherheit. Wer wären wir, würden wir ihnen nicht zu Hilfe kommen? Wo bliebe unsere Menschlichkeit, wenn wir sie dort draußen dem Ertrinken einfach überlassen würden? Denn um nichts anderes geht es hier: Das Überleben auf See, das Erhalten unserer menschlichen Werte. Es sind Menschen, keine Zahlen. Lasst uns das niemals vergessen.