Am heutigen Mittwoch entschied das Gericht der Europäischen Union in Luxemburg im Fall Sea-Watch vs. Frontex. Während das Gericht versäumte, Transparenz und Rechenschaftspflicht herzustellen, stellte es fest, dass Frontex zu Unrecht mehr als 100 Fotos geheim gehalten hat. Diese könnten die Beteiligung der Grenzagentur an einer Menschenrechtsverletzung im Mittelmeer belegen.
Sea-Watch hatte im April 2022 mit Unterstützung der Organisation FragDenStaat Klage auf Herausgabe von Informationen erhoben, die die Beteiligung von Frontex an Menschenrechtsverletzungen belegen sollen. Frontex hatte zuvor alle Anfragen im Zuge der Informationsfreiheitsverordnung abgelehnt.
Das Gericht der Europäischen Union führte nun in seiner Entscheidung aus, dass die Grenzagentur zuvor die Existenz von über 100 Fotografien verschwiegen hat, die Gegenstand des Antrags von Sea-Watch waren. Das Gericht stellt deshalb fest, dass die Verweigerung des Zugangs zu diesen Fotografien nicht gerechtfertigt ist.
Die Klage von Sea-Watch lehnte das EU-Gericht allerdings mit dem aktuellen Urteil weitgehend ab. Obwohl die Grenzagentur zur Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit verpflichtet ist, verhindert das Urteil so die Herausgabe der angefragten Dokumente. Es zementiert damit Frontex’ Straflosigkeit an den europäischen Außengrenzen.
“Wenn wir Menschenrechtsverletzungen an den EU-Grenzen verhindern wollen, müssen Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden können. Das Gericht hat heute versäumt, dafür Sorge zu tragen. Frontex-Direktor Leijtens kann trotzdem noch zeigen, dass er es mit der angekündigten Transparenz ernst meint. Wir fordern ihn auf, alle angefragten Dokumente als auch das zurückgehaltene Bildmaterial zu veröffentlichen.“ sagt Marie Naass, Leiterin der politischen Öffentlichkeitsarbeit bei Sea-Watch.
Luisa Izuzquiza, FragDenStaat Brussels Liaison Officer: “Es ist zwar noch ein langer Weg bis zur Beendigung der Straf- und Rechenschaftslosigkeit von Frontex, aber das heutige Urteil ist eine Chance. Frontex hat zu Unrecht wichtiges Beweismaterial geheim gehalten und sollte nun das in ihrem Besitz befindliche Filmmaterial offenlegen; dies ist zwar nur das absolute Minimum, aber es ist auch ein wichtiger Schritt zur Herstellung von Transparenz.”
Hintergrund:
Im Verfahren bezog sich Sea-Watch auf den Fall eines völkerrechtswidrigen Pullbacks vom 30.07.2021, der vom Aufklärungsflugzeug Seabird sowie dem Rettungsschiff Sea-Watch 3 bezeugt wurde. Innerhalb der maltesischen Such- und Rettungszone wurde ein Boot in Seenot mit etwa 20 Menschen an Bord durch die sogenannte libysche Küstenwache abgefangen und nach Libyen zurückgeschleppt. Wie von den Organisationen Human Rights Watch und Border Forensics aufgezeigt, muss davon ausgegangen werden, dass Frontex dieses illegale Abfangen ermöglicht hat.
Frontex verweigerte nach Anfrage mittels Informationsfreiheitsverordnung mehrfach die Herausgabe der angeforderten Informationen. Was Frontex preisgab, war der Umfang der vorhandenen Daten: So wurden 73 Dokumente, Bilder und ein Video identifiziert, die sich auf das Datum des Vorfalls beziehen. Darunter allein 36 Dokumente über den Austausch von Kommunikation zwischen Frontex und libyschen, italienischen sowie maltesischen Behörden im Zusammenhang mit ihrem Einsatz im zentralen Mittelmeer am 30.07.2021.
Mit Unterstützung der Organisation FragDenStaat hatte Sea-Watch deshalb Klage gegen Frontex vor dem Gericht der Europäischen Union erhoben, um die Freigabe der zurückgehaltenen Informationen zu erreichen und zu beweisen, dass Frontex an Menschenrechtsverletzungen im Mittelmeer maßgeblich beteiligt ist.