Reimar ist Kapitän bei Sea-Watch. Während unserer Missionen, aber auch während der Werftzeiten sorgt er von der Schiffsbrücke aus dafür, dass alles reibungslos abläuft. Dieses Jahr feiert er Weihnachten in Flensburg auf der Sea-Watch 5.
Du bist zurzeit auf der Sea-Watch 5. Wie kam es dazu, dass du auf den Sea-Watch Schiffen arbeitest?
Reimar: Ein Freund hatte mir davon erzählt, dass Sea-Watch Leute für ihre Schiffe sucht. Daraufhin habe ich mich beworben. Vor etwas mehr als zwei Jahren habe ich dann bei Sea-Watch angefangen. Zuerst war ich zwei Monate im Hafen, dann war ich bei einer Überfahrt von Italien nach Spanien Teil der Crew. Mittlerweile bin ich auch bei vier Rettungseinsätzen mitgefahren. Als Teil der Besatzung bin ich regelmäßig auf den Schiffen. So bin ich jetzt auch hier im winterlichen Flensburg auf der Sea-Watch 5 gelandet.
Über Weihnachten verbringen die meisten Menschen Zeit mit ihrer Familie oder Freund:innen. Du bist stattdessen hier und hilfst dabei, das Schiff so schnell wie möglich bereit für den Einsatz zu machen. Warum machst du das?
Reimar: Naja, um ehrlich zu sein: Die meisten Leute, die ich kenne, sehen die Weihnachtszeit mit der Familie auch als Belastung. Zumindest teilweise. Und es war weniger eine Wahl, sondern ist Teil meines Jobs: Unsere Besatzung rotiert, das heißt ich bin einine Monate pro Jahr auf dem Schiff, dann einige Monate nicht. In diesem Jahr eben auch über die Feiertage. Aber ich bin wirklich froh, auf dem Schiff zu sein. Ich liebe die Arbeit an Bord mit den anderen Käuzen hier. Ich bin unheimlich froh, Teil davon zu sein, Sea-Watchs bisher größtes Schiff einsatzbereit zu machen. Dafür ist Weihnachten zu Hause mal ausfallen zu lassen keine so große Sache.
Die Rettungseinsätze stehen oft im Vordergrund, vor allem medial. Die Werftzeiten, also wenn Arbeiten im Hafen erledigt werden, bekommen oft wenig Aufmerksamkeit. Warum sind sie trotzdem so wichtig?
Reimar: Ganz einfach: Keine Werft, kein Rettungseinsatz, keine Aufmerksamkeit. Die Sea-Watch 5 ist derzeit noch nicht für den Einsatz fertig, also führt kein Weg daran vorbei, diese Umbauarbeiten zu machen. Es ist zwar meistens ziemlich harte Arbeit, aber auch mit sehr viel Spaß verbunden.
Du hast auch viel auf der aktuell blockierten Sea-Watch 3 gearbeitet. Was war deine eindrucksvollste Erinnerung an Bord?
Reimar: Puh…. Da gibt es einige! Aber die Erinnerung an die Durchsagen an die Leute an Deck, dass wir den sicheren Hafen erreicht haben, ist sehr stark. Zu sehen, wie sie das Schiff wieder verlassen können, wie erleichtert sie sind und wie dankbar sie uns, der Besatzung, gegenüber sind, ist ein tolles Gefühl.
Ein anderes Erlebnis löst bei mir eine Mischung aus Angst und Wut aus. Ich war einmal an der Übergabe eines Neugeborenen von einem unserer Schnellboote auf das Schiff beteiligt. Es war eine unübersichtliche Rettungssituation. Viele Menschen waren zu dem Zeitpunkt im Wasser. Unsere Sanitäter:innen hatten Angst um das Kind, weil es stark unterkühlt war. Wenn ich daran denke, wie dieser Moment verlaufen ist, wie das Kind hätte ins Wasser fallen können… Da läuft es mir immer noch kalt den Rücken herunter. So sieht es in der Praxis aus, wenn Menschen grundlegende Rechte wie Bewegungsfreiheit und Asyl verweigert werden. Dass solche Situationen von der EU zugelassen werden, ist ungeheuerlich.
Die Sea-Watch 3 ist gerade in Italien festgesetzt. Ihre Nachfolgerin, die Sea-Watch 5, ist unsere Antwort auf Italiens neue ultrarechte Regierung. Was hast du Italien und ganz Europa zu sagen?
Reimar: Diese repressive Grenzpolitik ist brutal und widerwärtig. Das müssen wir ändern!!