Fra ist Projektkoordinator:in der Sea-Watch 5. Gemeinsam mit unserem Guest Care Coordinator Lorenz und einem großen, multidisziplinären Team haben sie in den letzten Monaten die Sea-Watch 5 zu einem Rettungsschiff umgebaut. Ich habe mit den beiden über die zurückliegende Werftzeit und die nächsten aufregenden Wochen gesprochen.
Die Zeit der Sea-Watch 5 in der Flensburger Werft neigt sich dem Ende. Neben den Umbauarbeiten hattet ihr auch sonst alle Hände voll zu tun.
Fra: Auf jeden Fall! Im August stand zum Beispiel der sogenannte Evakuierungs-Drill an. Die Sea-Watch 5 fährt unter deutscher Flagge. Somit unterliegen wir konkreten Auflagen, um als Rettungsschiff fahren zu dürfen. Der Drill simuliert einen Notfall, in dem alle Menschen vom Schiff evakuiert und auf Rettungsinseln geleitet werden müssen. Für die künftige Einsatz-Crew war es eine Gelegenheit, eine Ausnahmesituation zu simulieren. Denn für den Drill kamen 350 Freiwillige an Bord, die evakuiert werden mussten. Es war also mehr als nur eine offizielle Übung, sondern auch eine Bildungs- und Trainingsmöglichkeit für unser Crowd Management. Am Tag der großen Übung waren wir alle ziemlich aufgeregt. Wir wussten ja nicht, ob wirklich genug Leute unserem Aufruf, an der Übung teilzunehmen, folgen würden. Und tatsächlich hat es geklappt! Wenn man bedenkt, dass es an einem Dienstag war und das Schiff in Flensburg liegt, ist das auf jeden Fall keine Selbstverständlichkeit! Wir waren überwältigt, wie viele Sea-Watch Unterstützer:innen bereit waren, den Weg auf sich zu nehmen. Dank ihnen sind wir unserem Ziel, Menschen mit der Sea-Watch 5 vor dem Ertrinken zu retten, einen großen Schritt näher gekommen.
Die Sea-Watch 5 ist nicht nur schneller und größer als ihre Vorgängerinnen, sie wird unseren Gästen auch einiges an Annehmlichkeiten bieten, die der Stimmung auf dem Schiff nachhaltig zu Gute kommen wird.
Fra: Den Aufenthalt unserer Gäste an Bord so angenehm wie möglich für sie zu gestalten war der rote Faden, der sich durch die Umbauten der Sea-Watch 5 gezogen hat. Damit das auch wirklich umgesetzt werden konnte, mussten wir auch die Gegebenheiten des Schiffes mit einbeziehen: Den Motor zum Beispiel. Ein fahrendes Schiff dieser Größe erzeugt sehr laute Vibrationen und viel Lärm. Durch sogenannte Motorhalterungen konnten wir diese mindern. Durch zusätzliches Dämmen des Bodens und der Wände konnten wir auch erfolgreich den Lärm im Hangar reduzieren; da, wo sich während künftiger Einsätze die besonders schutzbedürftigen Gäste aufhalten werden. Unsere Rettungseinsätze können bis zu 5 Wochen dauern. Die Crew und die Gäste befinden sich in einer konstanten Ausnahmesituation. Dass wir den Lärm so effektiv vermindern konnten, ist schon ein Erfolg, der uns sehr zufrieden macht!
Lorenz: Das ganze Schiff ist eine riesengroße Verbesserung! Für mein Team, das sich um die Gäste an Bord kümmert, wird die Reisküche die größte Veränderung sein. Wir sind jetzt in der Lage – egal, wie viele Menschen wir retten – für alle an Bord genug Essen zu machen. Wir können in einem Kochgang für 400 Menschen Reis kochen. Der dazugewonnene Stauraum ermöglicht es uns, den Gästen auch leckere Gerichte zu kochen. Wir können uns mehr an ihre Bedürfnisse anpassen, durch die Variation von Gewürzen beispielsweise. Das alles wird einen riesigen Einfluss auf die Stimmung an Bord haben – und das hat für das Guest Care Team Priorität! Denn eine gute Stimmung an Bord ist die Grundlage dafür, dass wir auch längere Wartezeiten auf einen Hafen überbrücken können.
Eine weitere Verbesserung ist unsere Tee-Ecke. So eine warme Tasse Tee, die wir zu jeder Zeit unseren Gästen anbieten können, kann in kritischen Situationen wie direkt nach der Rettung oder bei gefühlt endlos langen Wartezeiten einen großen Unterschied machen und wieder neue Hoffnung wecken. Zudem beugt es auch Dehydrierung vor.
Aktuell befinden sich noch Leute an Bord der Sea-Watch 5, um die Umbauten abzuschließen und sich auf ihren ersten Einsatz im Mittelmeer vorzubereiten.
Fra: Aktuell sind rund 40 Leute an Bord der Sea-Watch 5. Das teilt sich auf in Einsatz-Crew und Shipyard-Crew. Nach Monaten der Arbeit kann ich nun aber sagen, dass wir auf den letzten Metern sind. Im Krankenhaus sind beispielsweise unsere Mediziner:innen gerade schon dabei, die Medikamente einzusortieren. Welch’ eine Genugtuung für unsere Crew, zu wissen, dass sich all die harte Arbeit gelohnt hat und das Schiff schon bald im Mittelmeer sein wird!
Lorenz: Ich bereite mich aktuell auf meinen ersten Einsatz mit dem neuen Schiff vor. Dabei begleiten mich seit Jahren immer wieder die gleichen Fragen. Wie können wir allen helfen? Können wir überhaupt allen helfen? Und was können wir tun, um wieder allen helfen zu können? Regelmäßig werden Schiffe von italienischen Behörden festgesetzt, wie aktuell auch die AURORA, die kleine Schwester der Sea-Watch 5. Wir haben jetzt ein Schiff mit sehr viel Zeit und Energie dank der Unterstützung unserer Spender:innen ausgebaut. Natürlich stelle ich mir auch die Frage, wie lange es dauert, bis dieses Schiff wieder dieser willkürlichen Abschottungspolitik zum Opfer fällt und festgesetzt wird. Das macht uns Angst, und gleichzeitig ist es absolut wieder an der Zeit loszuziehen. Wir bleiben optimistisch und kämpferisch! Denn wir werden gebraucht, deswegen ist Aufgeben keine Option!