Liebe Sea-Watch Unterstützer*innen,
Hier ein kurze Zusammenfassung über unsere aktuellen Projekte sowie die Geschehnisse, die unsere Arbeit zur Zeit prägen.
Durch einige bedenkliche Entwicklungen der letzten Zeit sehen wir uns dazu gezwungen, unsere Rettungskaüazitäten in Zentralen Mittelmeer auszuweiten. Deshalb wurde ein Flugzeug gekauft, ausgestattet und nun für den Einsatz nach Nordafrika überführt. Mit „Sea-Watch Air“ versprechen wir uns nicht nur schneller Flüchtlingsboote zu entdecken und somit Unglücken wie vom 27. Mai vorzubeugen, sondern auch die verschiedenen politischen Akteure von der Luft aus besser zu beobachten und die Koordination der Einsätze zu verbessern.
Im zentralen Mittelmeer musste unsere Crew nach einem Unglück, bei dem ein hölzernes Flüchtlingsboot kenterte, bei der Bergung von 45 Leichen helfen. Die Anzahl an Flüchtlinsbooten nimmt außerdem drastisch zu. Allein in den ersten beiden Juni-Wochen wurden durch unsere Crew über 20 Boote mit über tausend Menschen versorgt.
Auch die Entwicklungen auf der politischen Ebene in Europa wie die Verhandlungen der EU mit der libyschen „Regierung“ bereiten uns Sorgen: Die Befürchtungen, dass sie etwas ähnliches wie den Türkei-Deal planen sind groß. Auch die Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch die libysche Küstenwache nehmen gleichzeitig zu.
In der Ägäis, in der wir nach wie vor auf stand-by sind, haben wir nun gemeinsam ein Statement mit anderen NGOs veröffentlicht, in dem wir der türkischen Küstenwache vorwerfen die Schuld am Tod zweier Menschen zu tragen. Auch hier werden im Zuge des eingefrorenen EU-Türkei-Deals weitere illegale Pushbacks dokumentiert.
Wir beobachten die politische Lage weiterhin mit großer Besorgnis und fordern deshalb eine #SafePassage!
Dank Euch und Eurer unermüdlichen Unterstützung in Form von Spenden, aber auch herzlichen und aufbauenden Worten, die uns auf verschiedensten Wegen erreichen, fühlen wir uns in unseren schwierigen Einsätzen niemals alleine. Es ist schön, so viele Mitstreiter*innen hinter uns zu wissen. Dafür danken wir Euch sehr.
Die oben genannten Entwicklungen findet ihr hier im Detail:
1. Zentrales Mittelmeer
Flugzeug für Flüchtende: SEA-WATCH-AIR geht in den Einsatz
Um die Lage im zentralen Mittelmeer besser überblicken zu können und Flüchtlingsboote schneller zu finden, setzen wir in naher Zukunft ein Flugzeug ein.
Das bereits fertig ausgestattete Ultraleichtflugzeug startete am 21.6. von Deutschland aus Richtung Tunesien. Nach einer Vorbereitungsphase mit Pilotentrainings und Probeflügen wird die Luftüberwachung dann in den kommenden Wochen aufgenommen und solange fortgeführt, wie die Krise auf dem Mittelmeer weiterbesteht und es die Einsatzbedingungen zulassen.
Das Flugzeug werden wir für Luftaufklärung einsetzen und weiten damit den humanitären Einsatz im Zentralen Mittelmeer in Zusammenarbeit mit Humanitarian Pilots Initiative – HPI als Sea-Watch Air aus.
Die noch immer katastrophalen Bedingungen für Geflüchtete machen eine effizientere Seenotrettung und den Einsatz von Luftüberwachung dringend nötig. Diese ermöglicht uns ein flächendeckendes Scannen des Suchgebietes sowie eine strukturiertere Seenotrettung innerhalb des Netzwerks von Hilfsorganisationen vor Ort.
Mehr Infos zu Sea-Watch Air findet ihr hier: Deutschlandfunk · NDR
Unsere bisher schwierigsten Einsätze
Dass sich im zentralen Mittelmeer noch immer wenig geändert hat – zumindest zum Positiven – zeigt der Einsatz unserer Crew vom 27. Mai: Nachdem wir 126 Menschen nach erfolgreicher Rettung an Bord nahmen, da kein anderes Schiff in der Nähe war, wurden wir zum nächsten Einsatz gerufen. Ein Holzboot war gekentert. Am Ünglücksort angekommen, konnten zwar noch 20 Menschen lebendig aus dem Wasser gezogen werden, danach musste sich unsere Crew allerdings an der Bergung zahlreicher Leichen beteiligen. Während die Geflüchteten vom vorigen Einsatz an Deck der „Sea-Watch 2“ ausruhten, markierten unsere Crew-Mitglieder die im Wasser treibenden Leichen mit Rettungswesten, damit sie nicht untergehen. Die italienische Marine barg sie dann anschließend aus dem Wasser. Wieder verloren Menschen ihr Leben auf dem Weg in die Sicherheit, die die Abschottungspolitik der EU zu verantworten hat.
Unter den geborgenen toten Körpern fand unsere Schnellbootcrew unter anderem ein Neugeborenes im Wasser treiben. Das entstandene Foto ging um die Welt.
Weitere Infos zur Entstehung des Bildes. (taz)
Am 23. Juni begab sich dann ein weiterer unglaublicher Einsatz: An diesem Tag befuhren ca. 40 Flüchtlinsgboote unser Einsatzgebiet. Alle verfügbaren Rettungseinheiten auch der anderen Organisationen vor Ort waren komplett ausgelastet. Unsere Crew war in einem über 12-stündigen Einsatz an der Versorgung von über 15 Booten beteiligt; auch eine Leiche wurde gefunden. Unter den Geretteten waren auch hier immens viele Frauen und Kleinkinder.
Sea-Watch will und kann diese Bilder nicht mehr hinnehmen. Europa muss aufhören diese Bilder zu produzieren. Europa muss den Schutzsuchenden sichere Wege ermöglichen, um Asyl in der EU beantragen zu können.
Stärker wie nie fordern wir eine #SafePassage !
Verstöße der libyschen Küstenwache
Während es so scheint, als würde die EU nun einen Deal mit Libyen – ähnlich wie der mit der Türkei – planen, um ihre Abschottung weiter auszubauen, werden Anschuldigungen an die libysche Küstenwache immer lauter. Amnesty International wirft der Küstenwache schwere Vergehen im Umgang mit Flüchtenden vor.
Die Organisation teilte mit, dass die Küstenwache Flüchtlinge auf Mittelmeer schlagen und beschießen würde. Die Flüchtlinge würden dann in libysche Haftzentren gebracht, in denen ihnen Folter und Misshandlung drohe. In einem Fall habe die Küstenwache sogar ein sinkendes Boot alleine gelassen und jegliche Hilfe verwährt hätten. Amnesty sprach im Mai mit etwa 90 Geflüchteten in Italien, mindestens 20 hätten ihnen von Schüssen und Schlägen seitens der libyschen Küstenwache berichtet.
Mehr dazu findet ihr hier. (Amnesty International)
2. Ägäis
Unser Statement zusammen mit ProActiva Open Arms, WatchTheMed Alarm Phone, Human Rights at Sea und CADUS zu den Vorkommnissen am 19.03.2016: Die Unterstützung einer koordinierten humanitären Rettungsoperation wurde verweigert!
Sea-Watch, ProActiva/Open Arms, Human Rights at Sea, CADUS und das WatchTheMed Alarm Phone fordern die unabhängige Untersuchung eines Notfalles auf See mit Todesfolge, der sich am 19.03.2016 in der Ägäis ereignet hat.
Hintergrund für diesen Brief an die türkischen Behörden war ein Notfall auf See vom 19.03.2016, bei dem zwei von 27 Personen an Bord, ein junger Mann und ein 8-jähriges Kind, ins Wasser fielen und ertranken, während zivilen freiwilligen Rettungskräften, die sich in unmittelbarer Nähe befanden, der Zutritt zur Türkischen Rettungszone verwehrt wurde.
Die Antwort der Oberbefehlshaber der Türkischen Küstenwache vom 28. Mai ließen viele unsere Fragen offen und gaben Tatsachen falsch wieder. So behaupteten die Oberbefehlshaber zum Beispiel in den ersten 1,5 Stunden keine Informationen über vermutlich vermisste Personen zu haben. Das Team von Sea-Watch und WatchTheMed können jedoch bezeugen, die Küstenwache in mehreren Telefonaten darauf hingewiesen zu haben, dass zwei Menschen über Bord gegangen waren.
Aus Sicht aller fünf Organisationen, die die gemeinsame Erklärung unterzeichnet haben, bleibt es ein Skandal, dass der Zugang zum Unglücksort den zivilen Rettungskräften untersagt und die angebotene Hilfe abgelehnt wurde, sogar, als die Türkische Küstenwache bestätigt hatte, dass zwei Personen vermisst werden.
Alle fünf Organisationen fordern nun eine unabhängige Untersuchung, die den Zugang zu den relevanten Log-Büchern und zu allen existierenden dokumentierten Konversationen zu dem Vorfall umfasst. Die Organisationen werden zu dieser Untersuchung alle ihnen verfügbaren Informationen beitragen.
Mehr zum Hintergrund und unseren Forderungen findet ihr hier.
Illegale Pushbacks in der Ägäis
Seit Jahren berichten Menschenrechtsorganisationen über gewaltsame bis tödliche Pushback-Aktionen durch offizielle Instanzen. Einen nun dokumentierten Vorfall durch die Türkische Küstenwache kritisieren wir scharf. Es ist auch ein Verstoß gegen europäisches und internationales Recht.
WatchTheMed konnte am 11. Juni 2016 ein solches Pushbacks dokumentieren, das von der griechischen Küstenwache ausging. Mit Waffengewalt wurde ein Flüchtlingsboot, das sich gerade zwischen Chios (Griechenland) und Cesme (Türkei) befand, an die türkische Küste zurück gedrängt, obwohl sie sich bereits in griechischem Territorium befanden. Ebenfalls Zeuge dieses illegalen Pushbacks waren zwei Frontex-Schiffe, die sich in unmittelbarer Nähe befanden und nicht zugunsten der Geflüchteten eingriffen.
Mehr dazu hier. (Watch the Med / Alarmphone.org)
In der Hoffnung, Euch im nächsten Newsletter bessere Nachrichten überbringen zu können, verbleibe ich mit herzlichen Grüßen.
Euer Harald Höppner