Die Sea-Watch 2 startet heute ihren 10. Rettungseinsatz. In diesem Zusammenhang, sowie vor dem Hintergrund einiger Vorfälle, fordern wir alle Akteure im Einsatzgebiet Zentrales Mittelmeer auf, die Arbeit der zivilen Rettungsflotte zu respektieren. Mehr als 15.000 Menschen in Seenot konnten bislang von den Crews der Sea-Watch gerettet werden. Trotzdem ist 2016 das bislang tödlichste Jahr auf dem Mittelmeer. “Die EU-Bestrebungen, mit Hilfe von Abkommen mit der libyschen Küstenwache, die Lage auf dem zentralen Mittelmeer zu kontrollieren, tragen zu einer Situation bei, die chaotischer ist als je zuvor”, sagt Frank Dörner, Sea-Watch Vorstandsmitglied und Teil der Crew des 10. Rettungseinsatzes.
“Einige Vorfälle zwischen zivilen Seenotrettungsschiffen und der libyschen Küstenwache sind für uns Grund zur Sorge”, sagt Sea-Watch Geschäftsführer Axel Grafmanns. “In einem Fall wurden Schüsse auf das Ärzte ohne Grenzen Schiff Bourbon Argos abgefeuert, wodurch die Crew direkt gefährdet wurde. In einem anderen Fall wurde eine Rettungsoperation der Sea-Watch 2, welche vom MRCC Rom angefordert worden war und außerhalb libyscher Gewässer stattfand, von einem Schnellboot, das sich selbst als libysche Küstenwache identifizierte, unterbunden. Die Flüchtenden wurden dann zwangsweise zurück nach Libyen gebracht”, so Grafmanns. “Jedes Schiff ist verpflichtet Schiffbrüchigen zu helfen. Wir operieren nach internationalem Recht. Die zivilen Seenotrettungsschiffe müssen von allen Akteuren auf dem zentralen Mittelmeer anerkannt und deren Arbeit respektiert werden.”
“Viele der Patienten, die wir auf der Sea-Watch 2 medizinisch versorgen, berichten uns von Misshandlungen, Folter und Freiheitsentzug in Libyen”, sagt Frank Dörner, Arzt an Bord der Sea-Watch 2. Einige berichten auch über unfreiwillige Rückführungen durch die libysche Küstenwache. Sea-Watch konnte ein solches Vorgehen in mehreren Fällen dokumentieren. “Wir können nicht ausschließen, dass die jüngsten Vorfälle zwischen zivilen Seenotrettungsschiffen und der libyschen Küstenwache in der Nähe territorialer Gewässer, eine Strategie sind, um NGOs abzuschrecken. Möglicherweise ist es von der libyschen Küstenwache nicht erwünscht, dass Sea-Watch oder andere NGOs Zeugen werden, von potenziell illegalen Push-Backs aus internationalen Gewässern”, sagt Grafmann.
Sea-Watch verurteilt solche Push-Backs oder ein Abfangen von Booten aufs Schärfste. Die internationale Seenotrettungskonvention findet klare Worte: “Jede Person, die aus Seenot gerettet wird, muss an einen sicheren Ort gebracht werden.” Axel Grafmanns dazu: “Wer Libyen als einen sicheren Ort für Flüchtende betrachtet, hat entweder keine Ahnung von der Situation vor Ort oder ignoriert grundlegende Menschenrechte. Es ist offensichtlich, dass eine Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache, so wie sie von der EU geplant wird, zu mehr Push-Backs und dem Abfangen von Booten führen wird, mit tragischen Konsequenzen für die Flüchtenden.” Schiffsarzt Dörner ergänzt: “Wir haben mit Menschen gesprochen, die mehrere Male von der libyschen Küstenwache abgefangen wurden und ihr Leben immer wieder riskiert haben. Dieses Abfangen, das oftmals zynisch als Rettung bezeichnet wird, gefährdet das Leben der Menschen, da sie wieder versuchen werden nach Europa zu kommen. Es ergibt keinen Sinn Ressourcen in Abschottung zu investieren. Die Bemühungen sollten stattdessen dafür genutzt werden, um Fluchtursachen zu bekämpfen und sichere Fluchtwege zu schaffen, für diejenigen, die ohnehin kommen werden.”
“Wenn sich europäische Regierungen dazu entscheiden, Gruppen wie die libysche Küstenwache zu unterstützen, sollten sie sichergehen, dass diese Gruppen keine Menschenrechte verletzen und keine Seenotrettungsoperationen nach internationalem Recht behindern. Wir bezweifeln, dass es bislang genug Bemühungen seitens der EU gab, um dies im Fall der libyschen Küstenwache gewährleisten zu können”, sagt Grafmanns.
Für weitere Fragen oder ein Interview kontaktieren Sie unseren Pressesprecher Ruben Neugebauer: presse@sea-watch.org