Heute vor genau 3 Jahren sind wir mit der Sea-Watch 1 von Lampedusa zu unserer ersten Rettungsmission aufgebrochen. Wir waren damals naiv.
Nicht weil wir glaubten, dass ein paar Landratten eine Seenotrettungsmission auf die Beine stellen könnten, das haben wir erfolgreich getan. Mehr als 35 000 Menschen haben die ehrenamtlichen Crews der drei Sea-Watch Schiffe seither aus Seenot gerettet. Um die 1000 mehr wären allein im letzten Jahr ertrunken, hätte unser Aufklärungsflugzeug Moonbird ihre bereits sinkenden Boote nicht in letzter Sekunde gefunden. Die zivile Rettungsflotte, nach dem Beispiel von Sea-Watch, ist zum wichtigsten Faktor für Seenotrettung auf dem Mittelmeer geworden.
Naiv waren wir, weil wir glaubten, Europa würde Verantwortung übernehmen. Weil wir dachten, wenn wir zeigen, wie die Situation da draußen wirklich ist, wenn wir den Menschen in den Booten ein Gesicht geben, würde sich etwas ändern. Die Toten an Europas Grenze, der tödlichsten weltweit, sind jedoch nicht Opfer einer Naturkatastrophe. Was auf dem Mittelmeer zwischen Libyen und Italien passiert, ist politisch kalkuliertes Sterben lassen.
Viel ist passiert, seit wir am Weltflüchtlingstag vor 3 Jahren in Lampedusa ausgelaufen sind. Viele Krokodilstränen wurden vergossen für die Ertrunkenen, mehr als 10 000 sind das seit der Gründung von Sea-Watch. Doch den Europäischen Staaten war es trotz regelmäßiger Beteuerung des Gegenteils nie wichtig, dass möglichst Wenige ertrinken, sondern dass möglichst Wenige durchkommen. Anstatt die Ursachen von Flucht anzupacken, wurde die Flucht selbst bekämpft, anstatt an einer Lösung zu arbeiten für eine Situation, welche durch das Fehlen sicherer und legaler Routen nach Europa erst geschaffen wurde, wurde selbige durch die Unterstützung der sogenannten Libyschen Küstenwache, die regelmäßig gegen das Völkerrecht verstößt, noch verschärft. Anstatt selbst Schiffe zu schicken, die ein klares Mandat zur Seenotrettung haben, wurde die zivile Rettungsflotte diffamiert und kriminalisiert, weil sie den Unwillen der EU, das Sterben auf dem Mittelmeer zu beenden, vorführte: Migrationsverhinderung vor Menschenrecht.
Wenn ich an morgen denke, mache ich mir große Sorgen
Wenn ich an morgen denke, mache ich mir große Sorgen und ich meine nicht das sinnhafte sondern das, welches in wenigen Stunden beginnt, denn wir stehen am Beginn einer Schönwetterphase: Es werden sich wieder Boote auf den Weg machen, mehrere Hundert Menschen werden es sein, die den unhaltbaren Zuständen in Libyen entkommen sind, oft mit nichts als dem nackten Leben und die sich nicht mehr wünschen als ein Leben ohne Angst. Nur wird kaum noch jemand dort sein um ihnen zu helfen, wenn sie mitten auf hoher See in Seenot geraten.
Die Bundesmarine war noch nie besonders engagiert, wenn es um die Rettung Flüchtender auf dem Mittelmeer ging, auch den Rest der “Mission Sophia” haben wir schon länger nicht mehr gesehen und für freiwillige Retter*innen sind seit anderthalb Wochen die italienischen Häfen dicht. Deswegen ist die Aquarius auf dem langen Rückweg von Valencia, anstatt dort, wo sie gebraucht wird. Die Iuventa von Jugend Rettet wurde sogar beschlagnahmt, seit mehr als einem halben Jahr rostet sie in Trapani vor sich hin, bisher ohne Verhandlung über die Vorwürfe, ohne Beweise, während 150 Seemeilen weiter südlich Menschen ertrinken. Nun hat der italienische Innenminister auch noch die Italienische Küstenwache abgezogen, neben der NGO Flotte die einzigen verlässlichen Rettungskräfte vor Ort.
Was uns die nächsten Tage auf dem Mittelmeer erwartet, ist eine Situation ähnlich der im tödlichen Frühjahr 2015, als das Ende der italienischen Rettungsmission Mare Nostrum auf Druck der EU hin eine tödliche Lücke hinterließ. Bereits letztes Wochenende mussten zahlreiche Handelsschiffe in Rettungen eingebunden werden, was für diese nicht nur einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursacht, sondern vor allen Dingen brandgefährlich ist. Handelsschiffe sind für Rettungen weder ausgerüstet, noch ist die Crew entsprechend trainiert, oftmals können sie nur zusehen, wie die Katastrophe ihren Lauf nimmt. 2015 ereigneten sich zahlreiche Bootskatastrophen, weil die Rettenden Fehler machten oder schlicht die Schiffe nicht geeignet waren.
Salvini macht Politik auf Kosten von Menschen in Seenot, er zockt gerade akut mit Menschenleben. Das ist nicht akzeptabel und nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages auch illegal, doch die Verantwortung dafür trägt er nicht alleine. Lange hat Italien die Hauptlast getragen, unermüdlich haben Schiffe der italienischen Küstenwache Rettungseinsätze gefahren, doch mit diesem humanitären Ansatz wurde Italien alleine gelassen. Die Situation, in der wir uns gerade wiederfinden, ist eine unmittelbare Folge der Dublin III Regulierungen, mit denen die komplette Last auf die Ankunftsländer am Mittelmeer übertragen wurde. Deshalb haben wir gerade eine Petition gestartet, diesen Irrsinn abzuschaffen und einen gerechten Verteilungsmechanismus einzuführen. Am 29. Juni wird der Europarat darüber entscheiden – er hat die Möglichkeit, den Weg frei zu machen für eine politische Lösung.
Wenn morgen oder in den darauffolgenden Tagen der kommenden Schönwetterperiode wieder Menschen ertrinken, dann ist das durch nichts zu entschuldigen. Der Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung wird dann nicht mehr ausreichen für Salvini, Strache, Seehofer und alle die, die sie nicht aufgehalten haben. Wer einen Krankenwagen behindert, wird vor Gericht gestellt. Genauso sollte es sein, wenn Rettung systematisch unterbunden wird.
Trotz alledem werden wir selbstverständlich weitermachen und im Gegensatz zu Deutschland und Europa unsere Verantwortung wahrnehmen, solange wir noch Schiffe zur Verfügung haben und solange uns das Geld nicht ausgeht, denn wir sind nach wie vor überwiegend ehrenamtlich organisiert und rein spendenfinanziert.
Zu glauben dass Europa Verantwortung übernimmt, war naiv, dass die Zivilgesellschaft etwas ändern kann, ist realistisch
Auch wenn die Gesellschaft immer weiter nach Steuerbord abdriftet, werden wir nicht aufgeben, noch haben Seehofer und von Storch keine Mehrheit. Außerdem gibt es auch immer wieder Momente die Mut machen: Heute früh habe ich zum Beispiel erfahren, dass das Gericht in Palermo festgestellt hat, dass es eben keine Zusammenarbeit zwischen Sea-Watch, Proactiva und irgendwelchen Schleusern gibt, dass alles was wir tun genau unserer Verpflichtung nach internationalem Recht entspricht. In zahlreichen italienischen Städten sind Tausende für unsere Sache auf die Straße gegangen, viele Bürgermeister haben angekündigt ihre Häfen zu öffnen.
Diese Unterstützung zu erfahren, tut gut, denn heute am Weltflüchtlingstag 2018 werden wir dringender gebraucht als jemals zuvor. Naiv war es zu glauben, dass die Europäischen Staaten selbst Verantwortung übernehmen würden, dass die Zivilgesellschaft einen relevanten Unterschied machen kann hingegen ist realistisch, das haben wir die letzten 3 Jahre gezeigt.