Liebe Mitstreiter*innen,
Auf den Tag genau 1 Jahr nach dem Auslaufen der Sea-Watch 1 aus Hamburg startet heute unser Flaggschiff, die Sea-Watch 2, ihren Rettungseinsatz auf dem zentralen Mittelmeer. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, allen zu danken, die dies möglich gemacht haben und Euch über den aktuellen Stand der Sea-Watch-Einsätze zu informieren.
Es liegen mit dem Umbau der Sea-Watch 2 zum Rettungsschiff, umfangreichen Reparaturen an der Sea-Watch 1 und vor allem den intensiven Rettungseinsätzen in der Ägäis, bei denen wir mehreren Tausend Flüchtenden in Seenot helfen konnten, arbeitsreiche Monate hinter uns. Doch schon jetzt übersteigen die Zahlen in Seenot geratener Boote die des letzten Jahres um diese Zeit. Unsere erste Crew ist gestern hoch motiviert in Malta ausgelaufen, um heute ihren Rettungseinsatz zu beginnen. Doch der Sommer kommt erst noch. Daher sind wir auch weiterhin auf Eure Unterstützung angewiesen, um unsere Flotte auch in Zukunft in den Rettungseinsatz schicken zu können.
Als ich letztes Jahr im Angesicht der größten Katastrophe auf dem Mittelmeer bislang, bei der über 700 Menschen dem Europäischen Grenzregime zum Opfer fielen, eine Schweigeminute in der Sendung von Günther Jauch abhalten lies, dachte ich, dass sich tatsächlich etwas ändern könnte. Am selben Tag sind wir mit der Sea-Watch 1 aus Hamburg gestartet und konnten dank der großartigen Unterstützung über den Sommer mehr als 2000 Menschen aus Seenot retten. Leider hat sich die Situation seither eher verschärft und wir gehen heute davon aus, dass wir noch lange aktiv bleiben müssen, denn mit dem Auslaufen der Sea-Watch 2 gestern aus Malta erleben wir ein trauriges Déjà vue: Auch dieses Jahr gab es unmittelbar vor Einsatzbeginn Tote auf dem Mittelmeer, möglicherweise wieder mehrere Hundert.
Die Sea-Watch 2 nimmt ihre neue Mission im Mittelmeer auf
[youtube id=“tSD9iXFDZgg“ mode=“lazyload-lightbox“] Sea-Watch ist zu einem Symbol für das Versagen einer Europäischen Politik geworden, welche durch ihre Abschottungsmaßnahmen Notleidende in die Boote zwingt und so für den Tod tausender Menschen verantwortlich ist. Wir sind deshalb froh, dass die Sea-Watch 2 heute ihren Einsatz im zentralen Mittelmeer beginnen kann.
Mithilfe von vielen Helferinnen und Helfern, die sich unermüdlich für den Umbau und die Ausstattung unseres Schiffes eingesetzt haben sowie mit zahlreichen Spenden ist es uns gelungen, ein größeres Schiff als die Sea Watch 1 mit vielen technischen Möglichkeiten und einer Krankenstation auszustatten. Wieder wird eine Crew, bestehend aus erfahrenen Seeleuten, Ärzt*innen und Mechaniker*innen unterwegs sein. Mit dem neuen Schiff können wir länger und zuverlässiger in den Einsatz fahren als mit der Sea-Watch 1.
Gleichzeitig wollen wir mit unserer Arbeit zeigen, wie katastrophal die Situation für Geflüchtete auf dem Meer ist, wie gefährdet sie sind, wenn sie sich auf unsichere Wege in hochseeuntüchtigen Schlauch- oder Holzbooten ohne erfahrene Skipper, Navigation, Wasser und Rettungsmittel begeben, nur weil die Europäische Union auf Abschreckung setzt, statt auf Humanität und Schutz vor Krieg und Verfolgung. Mit der Blockade von Fluchtrouten und politischen Deals wie dem EU-Türkei-Abkommen werden weitere Tote in Kauf genommen.
Update Ägäis
Das jüngste Abkommen zwischen der EU und der Türkei dient der Abschottung Europas vor weiteren Geflüchteten. Sein Inhalt ist zudem rechtlich umstritten und Zeugnis für die Nicht-Achtung von Grundwerten der solidarischen Gemeinschaft. Menschen, die vor Verfolgung und Krieg flüchten, wird der Zugang zu Asyl verwehrt. Stattdessen werden sie in ein unsicheres Drittland abgeschoben.
Wir werden gemeinsam mit CADUS weiter vor Ort sein. Auch wenn die Zahlen der Flüchtlingsboote schwanken, konnte unsere Crew gerade gestern erst wieder ein Boot aus Seenot retten und für uns zählt jedes gerettete Leben. Ohnehin, da die Fluchtursachen weiterhin existieren, werden Menschen auch zukünftig fliehen, ob über das zentrale Mittelmeer oder in der Ägäis. Insofern dient das Abkommen eher als Konjunkturpaket für Schlepper, indem es Menschen in Not auf immer gefährlichere Routen und in die Hände von kriminellen Schleppern treibt.
Mein Buch zur Geschichte von Sea-Watch ist erschienen
Genau eineinhalb Jahre ist es her, dass wir am Küchentisch die Idee zu Sea-Watch hatten. Viele haben uns damals für Träumer und Spinner gehalten. Darüber, was danach kam, über die Höhen und Tiefen, habe ich zusammen mit Veronica Frenzel ein Buch geschrieben: „Menschenleben retten! Mit der Sea-Watch auf dem Mittelmeer“. Die Fotos dazu haben Ruben Neugebauer und Federica Mameli gemacht, das Vorwort hat Kapitän Schmidt von Cap Anamur geschrieben. Seit Freitag könnt ihr dort nachlesen (und anschauen), wie der Auftritt bei Günther Jauch für mich war, wie ich die Rettungseinsätze vor der libyschen Küste erlebt habe und wie die Situation vor Lesbos mich beeinflusst hat – und vor allem, was wir jetzt noch alles vorhaben.
Denn es gibt weiter viel zu tun. Unser Ziel, die Politik dazu zu bewegen, etwas gegen das Sterben im Mittelmeer zu tun, liegt noch weit entfernt. Nur wenn wir endlich aufhören, unsere Grenzen für Menschen in Not zu schliessen, wird das Sterben auf dem Mittelmeer ein Ende haben.
Wir brauchen eine #safepassage, doch diese ist leider noch nicht in Sicht und bis dahin werden wir weitermachen. Wir sind hochmotiviert, auch dieses Jahr viele Leben zu retten. Hoffentlich auch weiterhin mit Eurer Unterstützung.
Viele Grüsse,
Euer Harald Höppner