Seit einigen Wochen steht die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa erneut im Fokus der Öffentlichkeit. Südwestlich von Sizilien gelegen ist sie sowohl von Libyen als auch von Tunesien aus das nächstgelegene europäische Festland. Deswegen kommen hier besonders viele flüchtende Menschen an, die sich auf den Weg nach Europa machen.
Während der Sommermonate, wo das Meer in der Regel ruhiger ist, wagen besonders viele Menschen die gefährliche Überfahrt. Die kleine Insel, die gerade einmal 5000 Bewohner:innen beherbergt, wird so seit Jahren regelmäßig zum traurigen Schauplatz für das europäische Versagen in Sachen Migrationspolitik.
Es gibt nur ein Erstaufnahmelager auf der Insel. Dieses ist gerade einmal für 350 Menschen ausgelegt. Alleine im Juli diesen Jahres erreichten bisher jedoch fast 5000 Menschen die Insel – davon fast die Hälfte in der letzten Woche. Dass diese Rechnung nicht aufgehen kann und dazu führt, dass Menschen unzureichend versorgt und in unwürdigen Verhältnissen ausharren müssen, liegt auf der Hand.
Weit über tausend Menschen lebten in den letzten Wochen im Lager – teilweise ohne Zugang zu fließendem Wasser. Die italienische Regierung reagierte zwar verhalten, indem sie mehrfach Menschen von der Insel evakuierte, doch auch jene Personen mussten teilweise über Stunden in der prallen Sonne und ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen auf die Überfahrt warten.
Seit 2017 beobachten wir nun schon mit unseren Aufklärungsflugzeugen das Mittelmeer aus der Luft. Immer wieder müssen wir feststellen, dass Menschen auf der Flucht vollkommen entrechtet sind. Nicht nur gibt es keine staatlich organisierte Seenotrettung für die es ein leichtes wäre, tausende Tote zu verhindern.
Es wird zudem mit allen Mitteln versucht, Menschen zurückzudrängen, ihnen die Flucht zusätzlich zu erschweren und ihr Leid zum Spielball politischer Agenda zu machen. Die aktuell stattfindenden Standoffs, wo zivile Seenotrettungsschiffe mit hunderten Menschen an Bord tagelang vor der Küste Italiens auf die Zuteilung eines sicheren Hafens warten müssen, ist nur eines von vielen Beispielen dafür.
Obwohl unser Flugzeug derzeit aufgrund einer Blockade durch die libyschen Behörden nicht in die internationalen Gewässer vor der Küste Libyens einfliegen darf – wir berichteten im letzten Newsletter davon – haben wir auch in der maltesischen Such- und Rettungszone in den letzten Wochen zahlreiche Menschenrechtsverletzungen bezeugt und dokumentiert. Denn die sogenannte libysche Küstenwache fährt inzwischen ganz selbstverständlich tief in maltesisches Rettungsgebiet, um Menschen zurück nach Libyen zu schleppen – meist sogar direkt koordiniert durch die maltesischen Behörden oder die europäische Grenzschutzagentur Frontex! Alleine an einem Tag musste unsere Crew beobachten, wie ein einziges Schiff der sogenannten Libyschen Küstenwache 4 Holzboote abfing.
Durch die Regierungskrise in Rom droht die politische Stimmung in Italien weiter zu kippen. Nachdem Ministerpräsident Mario Draghi zum zweiten Mal innerhalb einer Woche seinen Rücktritt einreichte, stehen nun im September Neuwahlen an. Italiens Ultrarechte – vorne Weg Giorgia Meloni und Matteo Salvini – haben aktuell gute Chancen, aus der Wahl als Sieger:innen hervorzugehen. Und der Wahlkampf ist bereits in vollem Gange: Das Thema Migration wird erneut missbraucht, um Stimmung gegen Flüchtende und deren Unterstützer:innen zu machen. Dies weckt bei uns Erinnerungen an 2019, an das Salvini-Dekret und den 17-tägigen Standoff der Sea-Watch 3 unter Kapitänin Carola Rackete. Pausenlose Attacken gegen Menschen auf der Flucht und NGOs, die im Mittelmeer Seenotrettung betreiben, stehen wie damals erneut auf der Tagesordnung. Sollten es die Ultrarechten in der Tat in die Regierung schaffen, befürchten wir weitreichende negative Auswirkungen auf die Rechte von Flüchtenden sowie auf die zivile Seenotrettung.
Fest steht jedoch: wir werden nirgendwo hingehen und dieser zutiefst rassistischen und menschenverachtenden Politik weiterhin entgegentreten. Unser Antwort bleibt: Menschlichkeit und Solidarität. Es kommen harte Zeiten auf uns zu, deswegen: Bleibt wachsam, macht auf unsere Arbeit aufmerksam – setzt euch mit uns gemeinsam für sichere und legale Fluchtrouten ein!