Die Sea-Watch 2 startet ihren Einsatz vor Libyen
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Die Situation auf dem zentralen Mittelmeer ist nach wie vor desolat. Das ist die Bilanz des ersten Einsatzes der Sea-Watch 2 und der letzten Tage. Gemeinsam mit anderen NGOs nach dem Vorbild von Sea-Watch mussten wir bereits in den ersten beiden Einsatzwochen Ende April mehrere Hundert Flüchtende aus Seenot retten und konnten während einer dringend erforderlichen Einsatzpause doch nicht verhindern, dass gleich zwei Schlauchboote in unserem Einsatzgebiet verunglückten und mehrere Flüchtende ertranken.
Während die Sea-Watch 2 zum Besatzungswechsel in Malta lag, fanden erneut zwei Bootsunglücke in unserem unmittelbaren Einsatzgebiet statt: Es werden über Hundert Menschen vermisst, unter den geborgenen Leichen ist auch ein Neugeborenes. Das eine Boot sank durch die starke Überlastung kurz nach Abfahrt, das andere verlor während der Rettung durch ein Handelsschiff Menschen, die durch unzureichende Vorkehrungen ins Wasser stürzten und ertranken. Die sich wiederholenden Tragödien zeigen ganz deutlich die dringende Notwendigkeit sicherer und legaler Einreisewege.
Die Sea-Watch 2 hat ihren Einsatz im Zentralen Mittelmeer aufgenommen. Seit dem 15.04. patrouillieren wir vor der libyschen Küste auf der Suche nach Booten in Seenot.„Die Schlauchboote, die etwas östlich von Tripolis losfahren, sind wie im letzten Jahr in katastrophalem Zustand und können die Überfahrt nach Italien unmöglich ohne fremde Hilfe überstehen“, sagt Ingo Werth, der als Head Of Mission den Einsatz der Sea-Watch 2 vor der libyschen Küste leitete. „Die Boote sind mit über 100 Menschen hoffnungslos überfüllt, besitzen weder ausreichend Treibstoff, noch genügend überlebenswichtige Ressourcen wie Wasser und Nahrung.“ Vielmehr kalkulieren die Schleppernetzwerke in Libyen mit einer frühzeitigen Rettung durch Europäische Instanzen. Findet diese nicht statt, sind die Menschen dem Tode geweiht: „Wir wussten, dass wir gerettet werden müssen, um zu überleben“, sagt Gideon, ein ghanaischer Geflüchteter. „Wir hatten kein Satellitentelefon an Bord, um einen Notruf abzusetzen. Wir trieben drei Tage im Mittelmeer umher. Eine Luftkammer des Schlauchbootes war bereits undicht und wir verloren stetig an Luft. Wären wir nicht endlich gefunden worden, wären wir alle ertrunken.“
Wir gehen davon aus, dass sich hunderttausende Flüchtende in Libyen und anderen nordafrikanischen Ländern aufhalten und auf die Überfahrt nach Italien warten. Nach durchgängig schlechtem Wetter mit wenig Flüchtlingsbootverkehr nutzen viele Boote nun bereits extrem kleine Zeitfenster mit relativ niedrigen Wellen, um in See zu stechen. Der Druck, das sich im Bürgerkrieg befindliche Libyen mit unmenschlichen Bedingungen für Flüchtende zu verlassen, scheint extrem hoch. Für den Sommer mit deutlich besseren Wetterverhältnissen rechnen wir somit mit noch deutlich mehr Flüchtenden als im Vorjahr. Solange es keine sicheren und legalen Einreisewege gibt, ist es dringend nötig, diese Meschen aktiv zu suchen. Organisationen der zivilen Seenotrettung wie Sea-Watch leisten derzeit einen großen Teil dieser Aufgabe.
Momentan befinden sich vier private Rettungsinitiativen im Einsatzgebiet, um das Nicht-Handeln der offiziellen Instanzen zu kompensieren. Neben Sea-Watch sind die deutschen Organisationen Sea-Eye und SOS MEDITERRANEE vor Ort. Nach einem im Januar zunächst erklärten Rückzug der Nicht-Regierungs-Organisation Ärzte Ohne Grenzen nimmt diese ihren Einsatz im Zentralen Mittelmeer nun auch wieder auf. Staatlich organisierte, professionelle Seenotrettung ist nach wie vor nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Die sich kürzlich ereigneten Bootsunglücke zweier von Libyen gestarteten Boote mit vielen Toten und über Hundert Vermissten, während die zivilen Organisationen in Malta die nötigen Besatzungswechsel und Tankstopps vollzogen, beweist dies in dramatischem Ausmaß. Die löbliche Rettung eines dieser Boote in letzter Sekunde durch ein Handelsschiff konnte durch mangelnde Erfahrung und ungenügende Ausstattung nicht alle Menschen lebend an Bord übernehmen.
Die Forderung nach legalen und sicheren Einreisewegen besteht daher weiterhin und gewinnt stetig an Brisanz. Wenn die europäische Politik nicht endlich eine Alternative schafft, werden auch dieses Jahr wieder tausende Menschen in den überfüllten Booten die Reise in ein besseres Leben antreten. Nach oft monatelanger Gefangenschaft unter menschenunwürdigen Bedingungen in Libyen erwartet die Menschen letztlich die gefährliche Überfahrt, die oft tödlich endet. „Die reale Zahl an Todesopfern kann nur vermutet werden“, beklagt Werth. „Letzte Woche gab es zum Beispiel einen Fall, bei dem nicht klar wurde, ob ein gerettetes Schlauchboot ursprünglich mit mehr Menschen an Bord gestartet war. Wir haben bis spät in die Nacht nach den Schiffbrüchigen gesucht, jedoch niemanden gefunden. Diese potentiellen Opfer werden noch nicht einmal statistisch erfasst. Manchmal werden Boote auch überhaupt nicht gefunden. Diese vergessenen Menschenleben machen uns besonders traurig und wütend.“
Sea-Watch fordert eine #SafePassage für alle Flüchtenden. Die politisch gewollte Abschreckung Flüchtender durch tödliche Bootsunglücke ist ethisch nicht vertretbar und verfehlt außerdem offensichtlich auch ihren Zweck. Die Zahl an Flüchtlingsbooten hat sich in 2016 im Vergleich zum letzten Jahr bereits erhöht. Der immense Leidensdruck der Menschen liegt auf der Hand: Eher lassen sie ihr Leben im Mittelmeer, als in ihre Heimatländer zurückzukehren. Und wir entscheiden, wie viele von ihnen sterben müssen.