Wir, ein Zusammenschluss ziviler Seenotrettungs- und Beobachtungsorganisationen im Mittelmeer, verurteilen die Pläne der Bundesregierung zur Änderung der Schiffssicherheitsverordnung (SchSV) scharf – Für die Mehrheit der zivilen Seenotrettungsschiffe unter deutscher Flagge wird diese Verordnung bedeuten, dass sie ihre lebensrettende Arbeit einschränken oder einstellen müssen.
Die neuen Regelungen verlangen unter anderem auch von kleineren Schiffen, Yachten und sogar kleinen Beibooten ein Schiffssicherheitszeugnis – eine pauschale neue Anforderung, die der kommerziellen Schifffahrt entspricht. Bisher waren Fahrzeuge mit einer Länge bis etwa 35 Metern davon ausgenommen. Diese Verschärfung führt nicht zu mehr Sicherheit an Bord, da die Regelungen für Frachtschiffe nicht auf die Einsatzzwecke ziviler Seenotrettung zugeschnitten sind und bestehende Sicherheitsstandards ziviler Rettungsschiffe teilweise unterlaufen. Sollte der aktuelle Entwurf der Schiffssicherheitsverordnung in Kraft treten, sehen wir uns mit einer massiven Erhöhung finanzieller Anforderungen durch unnötige Anpassungen und einer aktiven Behinderung unserer Arbeit konfrontiert, die letztendlich unsere Einsätze mit diesen Schiffen unmöglich macht.
Obwohl zivile Seenotrettungsorganisationen seit Monaten auf die Folgen einer solchen Verordnungsänderung hinweisen, plant die deutsche Bundesregierung dennoch, die Arbeit ziviler Seenotrettungsschiffe dramatisch einzuschränken. Die Umsetzung dieser Änderungen stellt einen klaren Bruch des Koalitionsvertrags dar, nachdem zivile Seenotrettung nicht behindert werden darf. Während der Vorstoß zur Änderung der Schiffssicherheitsverordnung des damaligen CSU-Verkehrsministers Scheuer zu Recht aus den Reihen der heutigen Bundesregierung scharf kritisiert wurde, vergrößert sie durch die neuen Regelungen die drastische Rettungslücke im Mittelmeer bewusst. Ähnliche Rechtsänderungen wurden bereits 2019 und 2020 von den Verwaltungsgerichten in Hamburg für rechtswidrig erklärt. Diese hatten eine klare politische Motivation, die auch der jetzigen Bundesregierung bewusst ist. In Abwesenheit einer staatlichen Rettungsoperation und sicherer und legaler Fluchtwege, werden den Preis für die geplanten Rechtsänderungen Menschen auf der Flucht mit ihrem Leben bezahlen.
Die geplanten Änderungen sind zur Erhöhung der Sicherheit weder geeignet noch erforderlich. Seit Beginn der Einsätze ziviler Schiffe im Mittelmeer im Juli 2015 gab es keinen einzigen Unfall, bei dem ein Crewmitglied oder eine bereits gerettete Person an Bord wegen Sicherheitsmängeln in Gefahr geriet. Die zivile Seenotrettung legt großen Wert darauf, dass Schiffe für die konkreten Einsatzzwecke geeignet, auf hohem Niveau ausgestattet und konstant in gutem Zustand sind. Alle Besatzungsmitglieder werden regelmäßig geschult und trainiert. Das Seegebiet im Einsatzbereich ist in allen nautischen Details bestens bekannt. Die Schiffe werden höchst professionell geführt. Alle Beteiligten haben ein hohes Maß an Erfahrung und Verantwortungsbewusstsein.
Der vom FDP-geführten Verkehrsministerium erarbeitete Vorschlag zur Änderung der Schiffssicherheitsverordnung reiht sich ein in die europäische Blockadepolitik ziviler Seenotrettung, die erst kürzlich durch ein italienisches Gesetzesdekret einen neuen Höhepunkt fand. Die Regierung unter Giorgia Meloni fordert zivile Seenotrettungsschiffe entgegen geltendem Recht unter anderem dazu auf, nach jeder Rettung sofort in einen italienischen Hafen zu fahren, obwohl sie stattdessen noch weitere Menschen retten könnten. Damit sollen weitere Rettungsaktionen verzögert werden. In ihrem Koalitionsvertrag betont die Bundesregierung die zivilisatorische und rechtliche Verpflichtung, Menschen nicht ertrinken zu lassen. Sie darf sich nicht durch eine Verordnung auf deutscher Ebene mit einer neofaschistischen italienischen Regierung gemein machen, die Abschottung über Menschenrechte stellt.
In Abwesenheit eines staatlich koordinierten Rettungsprogramms sind es zivile Organisationen, die sich dem politisch kalkulierten Sterbenlassen an den Außengrenzen der Europäischen Union entgegenstemmen. Die geplanten Änderungen der Schiffssicherheitsverordnung werden hierbei die Einsatzmöglichkeiten ziviler Such- und Rettungsschiffe massiv einschränken. Wir, zivile Seenotrettungsorganisationen, die Einsätze im zentralen Mittelmeer durchführen und unterstützen, verurteilen den Versuch der aktiven Verhinderung unserer lebensrettenden Arbeit durch die deutsche Bundesregierung scharf.
Wir fordern alle Mitglieder des Deutschen Bundestages auf, sich öffentlich klar zur Unterstützung der zivilen Seenotrettung zu bekennen. Die Bundesregierung muss im Einklang mit dem Koalitionsvertrag handeln. Die an der Ressortabstimmung beteiligten Ministerien müssen sicherstellen, dass eine neue Schiffssicherheitsverordnung folgende Kriterien erfüllt:
- Keine Zeugnispflicht für Such- und Rettungsschiffe
- Änderungen der Schiffssicherheitsverordnung dürfen die Arbeit ziviler Seenotrettung nicht weiter erschweren.
- Alle aktuell operierenden Schiffe müssen einsatzfähig bleiben und neue Schiffe unter deutscher Flagge in den Einsatz gebracht werden können.
Unterzeichnende:
- MARE*GO
- MISSION LIFELINE
- r42-sailtraining
- RESQSHIP
- SARAH Seenotrettung
- Sea-Eye
- Sea-Watch
Hintergrund:
Der Entwurf zur Änderung der Schiffssicherheitsverordnung (SchSV) sieht (1) eine Verengung der Definition des Freizeitzweckes und (2) eine Verengung des Begriffs des Kleinfahrzeuges vor.
(1) Während der Begriff vor der Änderung ideelle Zwecke – wie humanitäre Beobachtung oder Seenotrettung – umfasste, sollen diese nun explizit ausgeschlossen werden. Damit werden Schiffe im ideellen Einsatz dem Erfordernis eines Schiffssicherheitszertifikates unterworfen und der kommerziellen Schifffahrt gleichgestellt. Es ergeben sich neue Anforderungen an Bau, Stabilität, Freibord, Maschinenbau, Brandschutzanforderungen, Rettungsmittel und Funkausrüstung. Zudem kann der Fahrtbereich eingeschränkt werden und Auflagen erteilt werden. Auch aufwändige regelmäßige Besichtigungen und technische Überwachungen der Schiffe sind vorgesehen.
(2) Nach bisheriger Rechtslage galten Schiffe mit einer Bruttoraumzahl von unter 100 als Kleinfahrzeuge, was – je nach Schiffstyp – einer Länge von bis zu 35 Metern entsprechen kann. Diese Grenze wird nun auf 24 Meter reduziert. Dies hat zur Folge, dass an bisherige Kleinfahrzeuge zwischen 24 und 35 Metern nun Anforderungen für Frachtschiffe gestellt werden.