Als Paul über das Meer kam
Aus Kamerun flieht Paul Nkamani aufgrund von politischen und privaten Schwierigkeiten nach Nordafrika. Von dort will er weiter, nach Europa. Zwei Mal hat Paul ein Visum beantragt, das abgelehnt wurde. In der Furcht um sein Leben bleibt ihm nur eines: der Weg übers Meer. Doch die Reise kostet ihn fast sein Leben. Jakob Preuss hat Paul mit der Kamera begleitet und einen Dokumentarfilm über sein Schicksal gemacht. Die Geschichte des Geflüchteten kommt am 31.08. in die Kinos. Wir haben schon vorab mit Paul über seine lebensbedrohliche Reise nach Europa gesprochen.
Drei Jahre lang hast Du in Nordafrika gearbeitet und gewartet, bis Du ein Boot nach Europa bezahlen konntest. Doch der Weg über das Meer ist gefährlich. Hattest du keine Angst, als Du das Boot betreten hast?
Das Problem ist, man sieht nur die Leute, die schon angekommen sind. Man sieht nicht den Weg und was auf diesem Weg passiert. Wenn jemand schon angekommen ist, dann erzählt er manchmal nicht alles. Auf Facebook sehe ich nur: „Ich bin angekommen, ich bin glücklich.“ Es werden nur die schönen Seiten gezeigt, nicht die schlechten. Wenn man diese schönen Bilder sieht, denkt man, Europa ist schön und süß – und nimmt den Weg auf sich.
Natürlich habe ich auch in Afrika die Geschichten von Flüchtenden gehört, die auf dem Mittelmeer sterben. Aber diese Geschichten haben keinen Effekt. Man denkt sich: „Klar kann das passieren, aber das ist nicht so schlimm. Ich kann es schaffen. Viele Leute haben Europa schließlich erreicht.“
Leider kennen wir die Bilder von überfüllten Schlauchbooten auf offener See nur zu gut. Wie war die Situation auf Deinem Boot?
Wir waren ungefähr 55 Leute auf dem Boot und fast die Hälfte von uns sind gestorben, viele Kinder und Frauen. Das war unfassbar traurig. Insgesamt waren wir 50 Stunden auf dem Boot, zwei Tage lang. Wir hatten kein Wasser, kein Essen. Irgendwann war die Stimmung so, dass wir alle dachten, dass wir das nicht überleben. Es kam zu Streit auf dem Boot. Die Schlepper kommen nicht mit auf das Boot. Es sind meist Senegalesen, die dann Steuern sollen, denn viele von ihnen sind Fischer und kennen das Meer. Aber wir sind komplett vom Weg abgekommen und hatten irgendwann kein Benzin mehr.
Im Foto sieht man Dich auf dem Schlauchboot links, kurz vor der Rettung durch einen Frachter. Kaum vorstellbar, dass ihr mit über 50 Leuten aufs Meer geschickt wurdet…
Kaum Leute hatten Schwimmwesten – die meisten hatten wenn dann schwarze Schwimmreifen. Ich weiß nicht viel über die anderen Leute auf dem Schiff, ich kannte sie nicht. Aber selbst mit Schwimmweste, wie viele Kilometer kann man im Meer schwimmen? Das geht nicht.
Ich glaube, einige Menschen sind verhungert. Andere hatten einfach keine Kraft mehr. Ich habe Menschen gesehen, die waren so schwach, dass sie einfach ins Wasser gefallen sind. Das Wasser war nicht ruhig. Das Boot ging nach oben und unten, hat sehr stark geschaukelt. Das war nicht einfach. Manche sind eingeschlafen und bei dem Wellengang einfach ins Meer gefallen.
Wie hast du Dich in der Situation gefühlt? Hast du noch daran geglaubt, in Europa anzukommen?
Ich dachte, das ist der letzte Tag für mich auf dieser Welt. Ich dachte, ich werde sterben. Du siehst vor dir, wie die Menschen sterben, aber Du hast keine Möglichkeit, ihnen zu helfen. Du denkst, vielleicht passiert Dir in der nächsten Minute das gleiche.
Ich habe nur an meinen Gott gebetet. Stundenlang habe ich gebetet. Ich glaube, diese Gebete haben geholfen. Ich war sehr schwach und habe viel erbrochen. Wir haben andere Schiffe, oft große Frachter, gesehen, aber sie haben abgelehnt, uns zu helfen. Sie müssen uns gesehen haben, aber sie sind einfach in eine andere Richtung gefahren.
Und trotzdem sitzt Du heute hier. Wie wurdet ihr letztendlich gerettet?
Unsere Rettung war ein holländischer Frachter. Wir hatten ein paar Pfeifen. Also haben wir gepfiffen, um auf uns aufmerksam zu machen. Wir haben unsere Hände hochgehoben und gewunken. Sie haben uns bemerkt und den Behörden gemeldet. Das Meer war unruhig und wir Menschen auf dem Boot natürlich auch. Also kam das Schiff um uns herumgefahren, hat langsam einen Zirkel um uns gemacht, um die Wellen zu beruhigen. Der Mann auf dem Boot hat uns gesagt: „Bleibt ruhig, bleibt ruhig.“
Dann kam noch ein Hubschrauber, um uns zu lokalisieren. Das Rettungsboot holte uns und die Retter halfen uns von dem Schlauchboot auf das Schiff zu kommen. Ich habe erst mal Gott gedankt und gedacht: Vielleicht ist meine Zeit doch noch nicht gekommen.
Von dort ging die Reise für Dich von einem spanischen Lager bis nach Deutschland. Vor kurzem wurde hier dein Asylbescheid abgelehnt. Was macht der Gedanke mit Dir, dass Du vielleicht bald zurückmusst?
Ich habe keine Ahnung wie es weitergeht. Zurückzugehen, das ist wie ein Selbstmord. Ich habe keine Perspektive mehr dort. Hier arbeite ich, ich habe einen richtigen Vertrag. Ich bekomme Lohn und bezahle Rente, Versicherung und meine Wohnung. Die Behörden müssen das verstehen und mir eine Chance geben – ich bin doch schon integriert!
Das Gespräch führte Marlene Resch mit Paul und Jakob auf Deutsch.
EXKLUSIV
Sea-Watch und OpenPetition laden zum Screening des Dokumentarfilms vor Kinostart am 30.8.2017 im Haus der Demokratie und Menschenrechte Berlin. Zur Anmeldung des Filmgesprächs geht es hier: https://alspauluberdasmeerkamseawatch.splashthat.com/?preview
Nächstes Sea-Watch Screening auf der Filmreihe „Menschenrechte über Bord“ am 14.11. im City Kino Wedding: https://sea-watch.org/event/paul-ueber-das-meer/