Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag prüft, ob gegen die sogenannte Libysche Küstenwache ermittelt werden kann. Grund für diese Ermittlungen wären vermehrte Übergriffe auf zivile Rettungsorganisationen und Flüchtende, auf die Sea-Watch aufmerksam gemacht hat. In mehreren Fällen hatte die sogenannte Libysche Küstenwache in internationalen Gewässern Retter*innen und Flüchtende in Lebensgefahr gebracht, um unter Einsatz von Waffengewalt Flüchtende nach Libyen zurückzubringen – ein klarer Verstoß gegen das international gültige Zurückweisungsverbot.
Anlass für die Sea-Watch Initiative, welche nun gerichtliche Ermittlungen nach sich ziehen könnte, ist ein Vorfall, bei dem ein Patrouillenboot der Libyschen Küstenwache am 10. Mai zunächst auf gefährliche Weise der Sea-Watch 2 die Vorfahrt nahm, um anschließend ein Holzboot mit ca. 500 Menschen an Bord aufzubringen. Der Kapitän des Patrouillenbootes zwang die Flüchtenden mit vorgehaltener Waffe, ihr Boot zu stoppen. Anschließend wurden sie nach Tripolis und von dort in die berüchtigten ‚Detention Centers‘ verbracht. „Der Vorfall ereignete sich außerhalb Libyscher Hoheitsgewässer und stellt somit einen klaren Verstoß gegen das internationale Zurückweisungsverbot dar,“ sagt Sea-Watch Anwalt Jens Janssen.
„Sea-Watch hat sich an den ICC gewandt und angeregt, die Ermittlungen auf die Vorfälle zu erstrecken. Der ICC wird prüfen, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Sea-Watch wird die Ermittlungen nach Möglichkeiten unterstützen und legt dem Strafgerichtshof Aufzeichnungen der von Sea-Watch dokumentierten Vorfälle, sowie Aussagen der Crew vor,“ so Janssen. „Der ICC beschäftigt sich bereits mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen innerhalb Libyens. Es ist ein wichtiger Schritt, dass die Ermittler in Den Haag nun auch die Straftaten, die von der sogenannten Libyschen Küstenwache begangen werden, unter die Lupe nehmen.“
„Leider ist das grob fahrlässige und häufig strafbare Vorgehen der sogenannten Libyschen Küstenwache kein Einzelfall und kann mitunter tödlich enden: Bereits im Oktober wurden wir Zeuge, wie mehrere Dutzend Menschen vor den Augen unserer Crew ertranken, nachdem die Libysche Küstenwache ein überladenes Schlauchboot beschädigt hatte. Die Libyer hatten auch in diesem Fall versucht, das Boot aus internationalen Gewässern wieder nach Libyen zurück zu schleppen. 104 Menschen haben nur überlebt, weil Sea-Watch vor Ort war und sie aus dem Wasser gezogen hat,“ sagt Axel Grafmanns, Geschäftsführer bei Sea-Watch. „Im Moment beobachten wir eine Häufung solcher Übergriffe durch die Libysche Küstenwache. Keine zwei Wochen nach dem Vorfall vom 10. Mai gerieten die Crews von Jugend Rettet und SOS Mediterranee bei einer weiteren illegalen Rückführung ins Kreuzfeuer, als die Besatzung eines Patrouillenbootes Schüsse aus einem Schnellfeuergewehr in Richtung mehrerer Flüchtlingsboote abgab,“ so Grafmanns. „Dringend zu klären ist in diesem Zusammenhang auch die Rolle der Rettungsleitstelle in Rom, die zumindest für den Fall am 10.05. die Koordination des Einsatzes an die Libyer abgegeben hatte, möglicherweise fand die Rückführung sogar mit Europäischem Einverständnis statt.“
Angesichts der Ermittlungen in Den Haag fordert Sea-Watch, dass die Ausbildung für die Libysche Küstenwache an strenge Auflagen geknüpft wird. „Es kann nicht angehen, dass hier am laufenden Band gegen Grundrechte verstoßen wird und das auch noch mit Europäischer Unterstützung in Form von Know how und Material,“ sagt Axel Grafmanns. „Durch die Ermittlungen in Den Haag wird noch einmal deutlich, dass sich Europa entscheiden muss, zwischen Menschenrechten und Migrationsabwehr. Jegliche Unterstützung der sogenannten Libyschen Küstenwache sollte solange gestoppt werden, bis sichergestellt werden kann, dass sich die entsprechenden Einheiten in ihrem Verhalten an der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte orientieren. Jeder Mensch hat das Recht, ein Land zu verlassen. Rückführungen nach Libyen sind nicht nur ein humanitäres Desaster sondern auch schlicht illegal, sie dürfen von der EU keinesfalls einfach toleriert oder gar noch gefördert werden. Wir sind deshalb froh, dass sich der Internationale Strafgerichtshof der Sache annimmt.”
Mehr Informationen zu den Vorfällen mit der Libyschen Küstenwache gibt es auf der Petitionsseite: https://sea-watch.org/petition-eu-finanzierte-gewalt-gegen-fluechtende-durch-die-libysche-kuestenwache-beenden/