(Quelle: Eine Übersetzung zum Blog-Beitrag von „Sea-Watch“-Rechtsberaterin und Team-Mitglied Giorgia Linardi vom 1. August) Während der letzten Patrouille gingen hier in den ersten drei Tagen etwa 600 Flüchtlinge an Land, danach war ein paar Tage Pause. Das Aufnahmezentrum ist überfüllt – ausgelegt auf 380 Flüchtlinge, beherbergt es derzeit mehr als 1.000. Inzwischen werden Kapitäne zur Ausschiffung direkt nach Sizilien umgeleitet, wo Schiffe mit vielen Passagieren an Bord jedoch auf Widerstände stoßen und Schwierigkeiten haben, einen sicheren Ort zum Anlegen zu finden. Die „Bourbon Argos“ der Ärzte ohne Grenzen wurde dort Anfang letzter Woche mit mehr als 700 Flüchtlingen an Bord abgewiesen.
In Lampedusa wurden unterdessen Plätze im Zentrum freigemacht, indem mit zusätzlichen Speedboat-Fahrten und Flügen nach Norditalien die Transferkapazitäten auf dem Luft- und Seeweg erhöht wurden. Die riesige Fähre, die jeden Morgen aus dem Hafen von Lampedusa ausläuft, reicht nicht mehr aus.
Auf der Insel ist jetzt „Hochsaison“
Touristen bevölkern die Strände, die Restaurants und die Straßen. Die Inselbewohner klagen über den Verkehr, und die Saisonkräfte kommen nicht zur Ruhe. Dasselbe gilt für die Flüchtlinge. Sie nutzen das gute Wetter, das die See träge in der Sonne liegen lässt, und wagen die Überfahrt. Sie überfahren die unsichtbare Grenze zwischen zwei Kontinenten, zwei Welten, zwei Leben. Sie kommen in Lampedusa an und werden in das „Dorf“ gebracht, in dem man sie im Nirgendwo „Willkommen“ heißt – das Aufnahmezentrum.
Lampedusa ist eine Insel für Durchreisende, ob Touristen oder Migranten. Sie bleiben nicht hier, sie ziehen weiter. Die Einheimischen erzählen, wie in den 90er Jahren Migranten hier landeten und sie fragten, wo der Bahnhof sei, von dem die Züge in den Norden fahren. Der Bahnhof von Lampedusa – ein Witz, so utopisch wie die Vorstellung, die die Flüchtlinge sich von Europa machen: „Europa“ als Inbegriff der Hoffnung, der Demokratie, als neue Chance. All das konnte ich in den Augen des Mannes lesen, der mir erschöpft und glücklich lächelnd zuwinkte, aus dem Bus, der ihn ins Zentrum brachte. Ich winkte zurück, einen so herzlichen Willkommensgruß wie ich konnte, mit schlechtem Gewissen und voller Traurigkeit. „Willkommen im Nirgendwo, mein Freund. Alles Gute!“.
„Kein Zug bringt dich aus Lampedusa weg, mein Freund.“. Das einzige Transportmittel, das du hier nehmen kannst, ist die „Misericordia“ – so heißt der Bus des Aufnahmezentrums. Nach der Zwangspause wegen der Überbelegung des Zentrums kreuzte der Misericordia-Bus am Wochenende wieder durch die Straßen von Lampedusa, um Migranten abzuholen und wegzubringen. Ich versuchte, Buch über die Ausschiffungen zu führen, aber mir wurde schnell klar, dass das praktisch unmöglich ist. Im Hafen und auf See herrscht ein wildes Durcheinander von Booten und Schiffen. Mitten in der Nacht hört man eigenartig viele Militärflugzeuge.
Nachricht aus Berlin: „Boot CP 322 der Guardia Costiera läuft ein!“ Ich laufe zum Hafen, warte bis 3 Uhr morgens auf ein Schauspiel, das langsam zur Routine wird. Ausschiffungen sind Routine auf Lampedusa.
Ob sie in den Nachrichten beschrieen werden oder nicht – es sind Hunderte. Es ist, als würde man ins Kino gehen und immer wieder denselben Film sehen. Der Polizeitransporter fährt mit Blaulicht zum Porto Favarolo – wieder kommt ein Schiff an. Ich trinke in der Via Roma mein Bier aus und lasse die Live-Musik und die Touristen hinter mir. Schnitt. Der Film beginnt. In rund einer halben Stunde versammeln sich mehr als 30 Menschen im Hafen, Vertreter von lokalen Behörden und humanitären Organisationen. Man kennt sich, man wartet wortlos. Das Schiff der Küstenwache läuft ein, ein Arzt prüft rasch die Lage an Bord, und die Flüchtlinge werden an Land geholt. Wenige Minuten später ist alles vorbei, als wäre nichts gewesen. Die ganze Operation wird mit extremer Professionalität abgewickelt. Wie ein Arbeitsschritt am Fließband, den man endlos wiederholt. Die Ankunft der Flüchtlinge wird als Notfallsituation dargestellt, aber die Dynamik des Umgangs damit hat eine mechanische Präzision. Etwas als Notfall zu bezeichnen, weil der Wille nicht da ist, es ernsthaft anzugehen, ist ein hochinteressanter Schachzug. Man kennt dieses Phänomen sehr gut, hier auf Lampedusa – schon viel länger als die Insel berühmt ist für den „Notfall der illegalen Immigration aus Nordafrika nach Europa“.
Lampedusa bedeutet für mich Übergang, Routine, Widerspruch, Elend, Hoffnung und Verzweiflung. Nimm dich in acht vor diesem trägen Stück Land mitten im Mare Mediterraneum, dem „Meer zwischen den Ländern“. Lampedusa heißt dich mit mütterlicher Wärme willkommen, ganz wie es der Tradition der Gastfreundschaft im Süden entspricht. Aber Lampedusa hütet auch Geheimnisse und verwässert Tausende Geschichten in seinem langsamen Rhythmus. Es ist ein stiller Tanz von tragischer Schönheit. Die Insel bewahrt alles auf, das wir vergessen sollten – wie den Pass eines jungen Mannes aus dem Senegal, der seine Identität über Bord geworfen hat, in der Hoffnung, nie wieder in sein Land zurückkehren zu müssen. Aber die Wellen haben das Dokument nach Lampedusa gebracht. Einer von Tausenden Menschen, die sich entschlossen haben, für die Chance auf einen Neuanfang in Europa ihren eigenen Namen herzugeben – doch ihre Identität bleibt in Lampedusa. Auf der Insel zurückbehalten und verloren – und danach vergessen.