Factsheet zum 1. Jahrestag eines Abkommens mit drastischen Folgen
18. März 2017
Der EU-Türkei-Deal zwingt Flüchtende auf immer gefährlichere Routen. Alleine heute sind rund 200 Menschen über die Ägäis auf den griechischen Inseln angekommen. Sie mussten in der Nacht völlig durchnässt gerettet werden. Sea-Watch Aktivist Philip Hahn ist gerade von der griechischen Insel Lesbos zurückgekehrt. Er ist empört über die Situation: “Wir Europäer halten an einem Deal fest, der die Menschen auf der Flucht weiter gefährdet und gleichzeitig unsere europäischen Werte verrät.”
Warum Sea-Watch eine Beendigung des Abkommens fordert, liegt auf der Hand:
1. Tote in griechischen Internierungslagern
Der jüngste Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zeigt deutlich: Der EU-Türkei Deal ist untrennbar verbunden mit der unmenschlichen Lagerhaft von Geflüchteten auf den griechischen Inseln in der Ägäis. Schon im März 2016 wurde ersichtlich, dass Griechenland viele Camps in Internierungslager verwandelt. 15.000 Menschen sollen derzeit auf den griechischen Inseln inhaftiert sein.
Die Situation in den griechischen Lagern ist katastrophal: Schutzsuchende erfrieren, ersticken, auch bei einer Gasexplosion kamen Menschen ums Leben. Die Unversehrtheit der Geflohenen wird nicht gewährleistet – im Gegenteil, sie sehen sich Angriffen von rechtsradikalen Gruppen ausgesetzt.
2. Schüsse an der neuen europäischen Außengrenze
Der EU-Türkei Deal verlagert das Grenzregime der Europäischen Union an die syrisch-türkische Grenze, die von der Türkei mit hunderten Kilometern Betonmauer und Zäunen aufgerüstet wird. Tausende Flüchtende aus Syrien werden schon an dieser Mauer zurückgewiesen: Der Syrer Noori berichtete Amnesty von Prügelattacken der türkischen Gendarmerie. Bei seinem dritten Fluchtversuch wurden elf seiner Gefährten an der Grenze erschossen.
Tausende verharren unter Lebensgefahr in syrischen Camps wie Bab al-Salama an der Grenze zur Türkei. Immer wieder treffen Bomben und Anschläge die Zeltstädte im Bürgerkriegsland. Die türkische Regierung lässt nur noch Schwerverletzte aus Syrien passieren, für alle anderen auch die Flucht in die Türkei zum lebensgefährlichen Wagnis wird.
3. Die Türkei ist kein „sicherer Drittstaat“
Die Türkei bietet Geflüchteten nicht den Schutz, den sie dringend brauchen: Das Land ist eine Kriegspartei im syrischen Bürgerkrieg und ist in seinen süd-östlichen Gebieten in bewaffnete Auseinandersetzungen mit kurdischen Gruppen verwickelt. Die politische Repression oppositioneller und kritischer Stimmen wird zunehmend durch die Regierung verschärft. Tausende Richter*innen, Journalist*innen, Soldat*innen und Lehrer*innen werden eingesperrt und oppositionelle Politiker*innen drangsaliert. Im Zusammenhang mit der Verfassungsreform des Präsidenten Erdoğan werden alle Gegner*innen des Ermächtigungsprojekts pauschal als „Terroristen“ und „ausländische Agenten“ diffamiert.
Diese Entwicklungen verstärken die massiven Menschenrechtsverstöße gegen Geflüchtete in der Türkei und an ihrer Grenze. Entsprechend kommt der renommierte Asylrechts-Anwalt Dr. Reinhart Marx in seinem Rechtsgutachten zu dem Schluss, dass die Türkei nicht als „sicherer Drittstaat“ gelten darf, weil sie weder das völkerrechtliche Verbot der Pushbacks noch das Gebot des Flüchtlingsschutzes einhält.
4. Was passiert eigentlich mit den EU-Geldern?
Zur Versorgung der Geflüchteten in der Türkei versprach die EU drei Milliarden Euro für die Jahre 2016 und 2017, sowie eine Aufstockung um weitere drei Milliarden ab 2018. Die EU erkauft sich mit den Geldern die Abriegelung der Ägäis, aber kommen die Mittel auch bei den Geflüchteten in der Türkei an?
Bisher bringt das Hilfsprogramm gemischte Ergebnisse: Zwar bekommen die Empfänger*innen volle Autonomie über die Verwendung der Gelder, aber fast alle Geflohenen leben in der Türkei weiterhin in Armut und nur wenige haben die versprochenen Arbeitserlaubnisse erhalten.
Wir machen bei Menschenrechten keine Kompromisse!
Deshalb fordert Sea-Watch eine Beendigung des schmutzigen Deals.
#MenschenrechteKeineKompromisse
Foto: jib/ Ruben Neugebauer, Sea-Watch Einsatz auf Lesbos 2015