Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zeigten am heutigen Morgen Einigkeit, als Minister*innen aus verschiedenen Migrationsabteilungen in einer Arbeitsgruppe zusammen kamen, um die Auswirkungen der COVID19-Pandemie auf einige der schutzbedürftigsten Einwohner*innen Europas zu erörtern.
„Wir blicken auf eine lange Erfolgsgeschichte zurück, unsere Hände von dieser Art von Verantwortung rein zu waschen„, kommentierte eine Sprecherin der Arbeitsgruppe. Sie fügte hinzu: „Social Distancing wurde bereits am 18. März 2016 zur praktischen EU-Politik und die europäische Abschottung hat eine noch längere Geschichte. Wir könnten nicht besser aufgestellt sein, um mit dieser Pandemie fertig zu werden.“
Geflüchtete und Migrant*innen in ganz Europa berichteten derweil, wie sich der Ausbruch und die Regierungsmaßnahmen zu dessen Eindämmung auf sie auswirkten:
Ein Mann aus Syrien, der in einem griechischen Flüchtlingslager lebt, erklärte: “Meine Familie ist ein absoluter Alptraum, daher ist mir sporadischer Social-Media-Kontakt gerade recht. Davon abgesehen haben wir sowieso keinen WLAN-Zugang und der ganze zusätzliche Datenverkehr, der das mobile Internet hier verlangsamt, ist die perfekte Ausrede, nicht so oft zu Hause anzurufen.”
Eine Vertreterin der kurdischen Gemeinschaft in Deutschland sagte: “Ich verstehe den Drang der Europäer*innen, glutenfreie Pasta, Avocados und Milchalternativen zu hamstern. Allerdings kann ich ihnen aus meiner eingehenden Lockdown-Erfahrung in Betonkellern und Höhlen sagen, dass Hafermilch sehr schnell schlecht wird, wenn man sie nicht kühlt.”
Unterdessen verrät uns auf der griechischen Insel Lesbos eine eritreische Lehrerin, die während der Ausgangssperre im berüchtigten Flüchtlingslager Moria Unterricht zum Zeitvertreib anbietet, ein Geheimnis: “Die heutige Matheaufgabe ist unlösbar!”, kichert sie. “Die Frage ist folgende: 20.000 Menschen sind in einem Gelände eingepfercht, das für 3.000 Personen ausgelegt ist. Sie sollen die 20-Sekunden-Handwaschanleitung der WHO befolgen, dabei zwei Meter voneinander entfernt bleiben und es ist nur ein Wasserhahn für je 1.300 Personen vorhanden. Wie kann das gehen?”
Behörden und Politiker*innen zeigen sich ebenfalls motiviert, zu bekräftigen, dass sie Schritte unternehmen, um gefährdete Gruppen zu schützen. So betonte die niederländische Einwanderungs- und Einbürgerungsbehörde (IND) ihre Entschlossenheit, „eine Entfernung von etwa 3.000 Kilometern zwischen Flüchtlingen und ihren Familienmitgliedern einzuhalten„. Diese Praxis verfolgt die Behörde seit vielen Jahren erfolgreich, indem sie die Familienzusammenführung ablehnt.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel veröffentlichte ein Foto auf Instagram, wie Social Distancing auch in der Politik erfolgreich praktiziert werden kann: “Die Linke bewegte sich auf die Mitte zu, die Mitte rückte nach Rechts und die Rechte wich bereitwillig nach ganz Rechtsaußen aus.” Abschließend ergänzte Merkel: “Das Wichtigste bleibt aber, daran zu denken, sich nach jeder Wahl die Hände zu waschen!”
Weniger begeistert zeigten sich die rechtsradikalen Gruppen, die einräumten, dass die jüngste Ausbreitung des Coronavirus einen „vorübergehenden Rückschlag“ für die Gewalt und den Hass bedeutet habe, die vor kurzem an der griechischen Grenze gegen Migrant*innen, Flüchtende und ihre Unterstützer*innen entfesselt wurden. Der Sprecher einer faschistischen Gruppe aus Nordeuropa zeigte sich hingegen zuversichtlicher: “Gott sei Dank”, sagte er, “hat die Mainstream-Politik unsere Rhetorik und unsere Aktionen in den letzten Jahren übernommen und macht im Grunde die Arbeit für uns. Menschen werden in Internierungslager eingesperrt und ihrer Grundrechte beraubt. Das ist in der Tat sehr ermutigend und weckt großartige Erinnerungen an die 1930er.“
Außerhalb der Lager kontaktierten wir Exil-Irakis, Somalis und viele andere EU-Bürger*innen, die aus ehemaligen Kolonien stammen und alle Gefühle der „Erleichterung“ beschrieben, als sie erfuhren, dass soziale Distanzierung offizielle Regierungsstrategie ist. „Ich hätte fast den Glauben an die Menschheit verloren„, gab eine junge afghanische Frau zu, die in Österreich lebt. „Die Leute gingen mir aus dem Weg, wechselten die Straßenseite, als ich vorbeikam, und hielten ständig mindestens zwei Meter Abstand. Ich dachte, die wären einfach rassistisch, aber jetzt verstehe ich, dass das EU-Politik ist.“
[Diese 100% authentische Berichterstattung wurde Sea-Watch von einem multinationalen Aktivist*innen-Kollektiv im und um das Camp Moria auf Lesbos mit Bitte um Veröffentlichung am heutigen 1. April 2020 zur Verfügung gestellt.]