Samira ist Crew-Mitglied unserer Luftaufklärungsmission Airborne. Airborne ist seit 2017 mit Aufklärungsflugzeugen über dem Mittelmeer unterwegs. Von der Luft aus dokumentieren sie Menschenrechtsverletzungen und unterstützen die zivile Flotte – seit Februar 2022 mit einem neuen Flugzeug, der Seabird 2.
Am 19. Februar 2022 seid ihr zum ersten Mal mit der Seabird 2 einen Einsatz geflogen.
Samira: Tatsächlich hatten wir den ersten Einsatz mit Seabird 2 schon seit Wochen geplant. Wir mussten jedoch eine letzte Inspektion abwarten. Sobald wir das Go bekamen, haben wir alle Hebel in Bewegung gesetzt damit die Seabird 2 schnellstmöglich abheben konnte. Denn in diesen Tagen patroullierte die Sea-Watch 4 im Such- und Rettungsgebiet und wir wollten unsere Freund:innen auf dem Wasser natürlich bestmöglich von der Luft aus unterstützen. Es war ein ziemlicher Kraftakt, aber wir schafften es, dass die Seabird 2 am 19. Februar zu ihrer ersten Mission aufbrechen konnte.
Wie verlief der erste Einsatz?
Samira: Bereits kurz nach der Ankunft im Einsatzgebiet konnten wir einen illegalen Pull-Back bezeugen. 80 Personen wurden von der sogenannten Libyschen Küstenwache zurück nach Libyen geschleppt, ein Land, wo Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung stehen.
Wenige Momente später entdecken wir aus der Luft ein kleines Glasfaser-Boot mit 8 Menschen an Bord. Rückblickend war das absolutes Glück, denn das Boot war so klein, dass es an ein Wunder grenzt, dass wir es entdeckt haben. Glücklicherweise war die Sea-Watch 4 nur acht Seemeilen von dem Boot entfernt. Der Crew der Sea-Watch 4 gelang es, alle Personen sicher an Bord zu nehmen.
Im weiteren Verlauf unserer Mission entdeckten wir ein zweites Schiff der sogenannten libyschen Küstenwache. Mit 20 Menschen an Bord und einer Geschwindigkeit von knapp 30 Knoten – das sind fast 60km/h! – raste es übers Wasser. Wie so oft saßen die 20 Personen entkräftet und vollkommen ungesichert an Deck – eine lebensbedrohliche Situation! Solche Beobachtungen gehören zum traurigen Alltag unserer Arbeit. Sie unterstreichen, wie fahrlässig und rücksichtslos die sogenannte libysche Küstenwache mit Menschen auf der Flucht umgeht – und das alles finanziert durch die EU!
Kannst Du uns etwas zum neuen Flugzeug erzählen? Was für ein Typ Flugzeug ist es und welche Eigenschaften macht es für unsere Luftaufklärungsmission geeignet?
Samira: Die Seabird 2 ist wie ihre Schwester Seabird 1 ein zweimotoriges Hochleistungsflugzeug vom Typ Beechcraft Baron 58. Das Seegebiet, das wir bei einer Mission mit unseren Seabirds absuchen können, ist fast doppelt so groß wie das der Vorgängerin Moonbird, nämlich rund 27.000 km2. Außerdem können wir mit ihr deutlich länger – ca. 7,5 Stunden – im Einsatzgebiet sein.
An Bord finden bis zu fünf Crew-Mitglieder Platz. Die Rechnung ist einfach: Je mehr Leute an Bord passen und während den Einsätzen nach Seenotfällen Ausschau halten, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, Boote in Seenot zu entdecken. Da die Seabirds zudem zweimotorige Flugzeuge sind, können wir deutlich mehr Sicherheit für unsere Crew an Bord gewährleisten.
Ganz zu Schweigen vom organisatorischen Aufwand, der sich durch das Betreiben von zwei Flugzeugen des gleichen Typs natürlich deutlich reduziert. Durch die Einsätze mit Seabird 1 seit Juni 2020 konnten wir viele Erfahrungen mit diesem Flugzeugtyp sammeln und das Flugzeug unseren operativen Bedürfnissen anpassen.
Dass die Seabird 2 nun vom selben Typ ist, erspart uns viel Zeit und Aufwand, denn hätten wir uns für die Anschaffung eines anderen Flugzeugtyps entschieden hätten wir uns erst mal intensiv einarbeiten und ganz anders planen müssen. Mit der Seabird 2 konnten wir stattdessen ohne Verzögerung ins Einsatzgebiet starten!
Die Seabird 2 wird künftig neben der Seabird 1 im Einsatz sein. Sie löst unsere Moonbird nach fast 5 Jahren im Einsatz ab. Das ist schon eine Ära, die zu Ende geht. Was war eines deiner denkwürdigsten Erlebnisse an Bord?
Samira: Mit Moonbird bin ich damals meine erste Mission überhaupt geflogen. Zwar wusste ich davor schon über die Umstände im zentralen Mittelmeer Bescheid, das alles mit eigenen Augen zu sehen ist aber nochmal eine ganz andere Erfahrung.
Es führt einem die Dimensionen vor Augen: 350km liegen zwischen der libyschen Küste und Lampedusa. Für diese Strecke braucht ein Schlauchboot mehrere Tage. Während dieser Zeit ist es Wetter, Sonne und Wellen schutzlos ausgesetzt. Wenn man die teils riesigen Wellen und Wetterumstürze im Mittelmeer selber erlebt hat, wird einem einmal mehr klar, dass sich kein Mensch leichtfertig auf diese lebensgefährliche Überfahrt begibt.
Alleine wenn ich darüber nachdenke, packt mich die blanke Wut, dass Menschen sich auf diesen furchtbar gefährlichen Booten zusammendrängen und ihr Leben riskieren müssen, anstatt sichere und legale Einreisewege nach Europa zu haben. Und dem nicht genug werden sie durch den schmutzigen Deal der EU mit der sogenannten libyschen Küstenwache zusätzlichem Leid und Gefahren ausgesetzt!
Der erste Flug damals mit Moonbird hat bei mir den Grundstein dafür gelegt, mich gemeinsam mit dem Airborne-Team aus der Luft unermüdlich gegen die tödliche europäische Politik und die widerliche Gewalt im Mittelmeer einzusetzen. Deswegen sind wir vor Ort, deswegen gibt es jetzt die Seabird 2. Wir richten weiterhin den Scheinwerfer auf die Auswirkungen der menschenverachtenden EU-Migrationspolitik.