„Please take footage“ – Diesen Satz hört man im Laufe des Filmes und er brennt sich wie ein täglich wiederkehrendes Mantra ein. Denn das ist es, was unsere Crew von Airborne macht: Sie fotografieren und filmen das, was sie beobachten müssen und versuchen alles aufzuzeichnen und zu dokumentieren, was passiert: die Menschenrechtsverletzungen, die Pushbacks und manchmal auch einfach nur das leere Mittelmeer: weil die Notrufe ignoriert werden, keine der verantwortlichen Küstenwachen zur Rettung eilt, Frontex nur mit Drohnen operiert und damit die Menschen auf der Flucht nicht gerettet werden.
Der Filmemacher Samuel war im August 2022 Teil der Airborne – Crew und hat als Field Media Coordinator gearbeitet. Unterwegs hat er auch immer seine eigene Kamera dabei. Daraus ist ein Kurzdokumentarfilm entstanden, der zurzeit auf Filmfestivals tourt und nun für den Deutschen Jugendfilmpreis nominiert wurde. Wir haben ihn getroffen und über seinen Film gesprochen.
SW: Hallo Samuel. Schön, dass du da bist. Fangen wir mit einer Vorstellung deiner Person an.
S: Mein Name ist Samuel Müller. Ich komme aus Stuttgart und habe dort Journalismus studiert und studiere inzwischen Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg. Während meines Journalismus-Studiums habe ich angefangen Kurzdokumentarfilme zu machen. Im Sommer 2022 kam über eine Freundin die Anfrage, ob ich bei Airborne als FMC (Field Media Coordinator/ Medienkoordinator) arbeiten will. Das war erstmal toll, dass sie mich überhaupt gefragt hat und es hat mich gefreut, da es ein Projekt ist, bei dem man journalistisch und filmisch arbeiten kann und dabei auch einen politischen Zweck erfüllt.
SW: Wie bist du auf die Idee gekommen, dieses Projekt zu machen?
S: Als Media Koordinator bei Airborne ist die Hauptaufgabe die Beobachtung und Dokumentation von Seenotrettungsaktionen sowie die Pflege der Datenbanken. Dazu gehört umfasst die Identifizierung und Erfassung von Booten, die Kommunikation mit den Einsatzleitern und das Sammeln von Beweismaterial. Zusätzlich zu dieser fotografischen Dokumentationsaufgabe habe ich auch gedreht, damals auch noch ohne konkretes Filmziel weil ich nicht wusste, was mich bei den Einsätzen erwarten wird.
Bei dem Einsatz am 18. August 2022, aus dem der Dokumentarfilm „Porta d’Europa“ letztendlich entstanden ist, war jedoch von vornherein abzusehen, dass sich eine Unrechtssituation zeigen wird. Wir wussten: Man muss dieses Boot retten, sonst wird es schlecht ausgehen. Mit diesen Informationen sind wir losgeflogen. Im Verlauf des Einsatzes wurde die Situation immer brenzliger, Europas Behörden sind untätig geblieben und letztendlich mussten wir einen Pushback der tunesischen Küstenwache beobachten. Der Film skizziert diesen Einsatz und das zeigt damit das Unrecht, das die Menschen an Bord erfahren.
SW: War der Titel schon von Anfang an klar? Was bedeutet er?
S: Der Titel des Filmes ist an das Denkmal „Porta d’Europa“ auf Lampedusa angelehnt. Es symbolisiert für mich das absurde Paradox zwischen unseren westlichen Privilegien und der tödlichen Migrationsroute über das Mittelmeer. Es wurde aufgestellt für die Verstorbenen im Mittelmehr und ist inzwischen eine Touristenattraktion. Natürlich sind weder die Bewohner:innen von Lampedusa noch die Tourist:innen schuld an der Lage im zentralen Mittelmeer, die Welten die dort aber aufeinandertreffen, ganz bildlich am „Tor von Europa“, stehen im Film stellvertretend für die Arroganz Europas und für eine Europäische Union, die untätig dem Sterben im Mittelmeer zuschaut und lieber in rassistische Abschottungspolitik investiert.
SW: Wie bist du mit dieser doppelten Rolle als Journalist und Aktivist umgegangen? Gab es da Schwierigkeiten/ Konflikte?
S: In meinem Studium wurde mir beigebracht, dass Journalismus und Aktivismus nicht zusammenpassen, was ich für unsinnig halte. Medienschaffende transportieren in ihren Geschichten Themen, zu denen sie eine gewisse Haltung haben. Zu sagen, dass ich mich in meinem Schaffen von dieser Haltung trennen kann, ist glaube ich unmöglich. In dem Film zeige ich die Situation, wie ich sie gesehen und wahrgenommen habe und natürlich habe ich in meiner subjektiven Wahrnehmung und über den Prozess des Filmes auch ganz klar eine Haltung zu dem Stoff entwickelt, die ich als Regisseur auch transportieren will. Obwohl ich als Aktivist an Bord war, habe ich klare Grenzen zwischen meiner Rolle als Dokumentarfilmer und als Aktivist gezogen. Mir war wichtig, den Film unabhängig von Sea-Watch zu produzieren und war in meinen Entscheidungen auch an niemanden gebunden.
SW: Wie hat sich das angefühlt, diesen Vorfall im Flugzeug durch deine Kameralinse mit „doppelter Distanz“ zu beobachten?
S: Sea-Watch nennt die Einsätze ganz bewusst nicht Missionen, aber ich muss sagen, dass es sich für mich manchmal angefühlt hat, auf einer Mission zu sein: Es gibt einen klaren Auftrag, du musst alles so gut es geht dokumentieren. Wenn man dann ein Boot sichtet, hast du eine Funktion und musst sie erfüllen. Dein Körper muss funktionieren und auch wenn der Vergleich in dem Kontext vielleicht hinkt, fühlt man sich stellenweise wie ein Militärfotograf. Was sich da tatsächlich vor meiner Kameralinse abgespielt hat, habe ich zum Teil erst später, meistens am späten Abend zurück an Land realisiert.
SW: Wie war da so der Prozess mit der Crew? Was hattet ihr für Regeln, um die Persönlichkeitsrechte der anderen zu bewahren?
S: Aktivisti sind oft kamerascheu, was verständlich ist. Ich habe klare Regeln für das Filmen festgelegt und dabei die Rechte der Crew respektiert. Ich wollte in dem Film die Crew ohnehin nicht als Hauptcharaktere etablieren, die Crew nicht darstellen – um die geht es ja gar nicht, die sind für die Geschichte eigentlich austauschbar. Ich habe immer vorher angekündigt, wenn ich aufgezeichnet habe, und manchmal die Kamera wieder ausgeschaltet, wenn es nicht gepasst hat. Wir haben gemeinsam entschieden, wie wir vorgehen, um die Integrität der Arbeit zu wahren.
SW: Ich habe mich gefragt, wie das ist, so, wenn man in diesem Flugzeug, diesem kleinen abgeschlossenen Raum ist, der so klein ist, und man auch noch diese räumliche Distanz zu dem hat, was man da sieht. Kannst du das skizzieren?
S: Ohnmacht ist das richtige Wort dafür. Du beobachtest das alles, und die Leute auf dem Boot nehmen dich ja oben offensichtlich wahr. Aber man ist trotzdem weit weg und schaut zu, ohne direkt eingreifen zu können. Im Film habe ich versucht, dieses Gefühl zu transportieren. Da ist diese Ohnmacht, nichts tun zu können, die Eingeengtheit der Flugkapsel und im Kontrast dazu die unglaubliche Weite des Meeres, in der ein Boot mit 15 Menschen an Bord ums Überleben kämpft. Da ist kein Happy End, und das wird es auch nicht geben. Das passiert jeden Tag und wir müssen hinschauen, dürfen dieses Unrecht nicht ausblenden.
SW: Was kann man deiner Meinung gegen diese Ohnmacht tun?
S: Man muss sich damit auseinandersetzen, informiert bleiben, recherchieren. wie sich Parteien positionieren, wählen gehen, NGO’s unterstützen, demonstrieren gehen.
Europa gibt vor, eine Wertegemeinschaft zu sein und Menschenrechte zu respektieren, aber ich habe ein anderes Europa kennengelernt. Man sollte sich bewusst sein, dass die Europäische Union eine knallharte, rassistische Grenzpolitik fährt. Manchmal braucht es den Zugang wie über einen Film, um den nackten Zahlen, die wir in den Nachrichten über Verstorbene oder Pushbacks hören, ein Gesicht zu geben. Wir müssen verstehen, dass hinter jeder Zahl ein Mensch steht, ein Mensch mit einer Geschichte und in diesem Film das Schicksal und die Geschichten von 15 Menschen, die massiv in ihren Menschenrechten verletzt wurden.
SW: Hast du so einen Wunsch an das Publikum? / Gibt es Erwartungen, die du, die du dir vom Screening auf den Filmfestivals erhoffst?
S: Was mich wütend macht, ist, dass diese Meldungen so normal geworden sind. Wenn man in den Nachrichten einen Beitrag über die Flucht über das Mittelmeer sieht, dann nur, wenn Kinder betroffen sind oder gleich 500 Leute ertrinken. Es sind immer diese Extreme, mit denen emotionale Nachrichten gemacht werden. Man muss verstehen: Diese Tragödie passiert jeden Tag, es sterben jeden Tag Leute bei dem Versuch, über das Mittelmeer zu fliehen. Der Film soll genau diese Alltäglichkeit, mit der Menschenrechte im Mittelmeer mit Füßen getreten werden, zeigen und natürlich das Publikum empören, zum Denken anregen. Bei dem gefilmten Fall ist glücklicherweise niemand gestorben, diese Menschen sind noch am Leben, aber sie wurden gesetzeswidrig zurück nach Tunesien geschleppt, an keinen sicheren Hafen, was katastrophal ist. Hier stehen Menschenleben auf dem Spiel stehen, und wir müssen wissen, was auf dem Mittelmeer geschieht.
SW: Danke für das Gespräch und ich hoffe, dass möglichst viele Menschen deinen wichtigen Film sehen!
Mehr Informationen:
www.samuelmuller.com
Termine:
Dresden (Filmfest Dresden 16.-21.04.)
Rostock (Fish Festival, 10.-12.05.)
St Ingbert (bundesfestival junger Film, 06.-09.06.)
Deutscher Jugendfilmpreis, Duisburg filmforum, 08.06. 10 Uhr