Auf dem zentralen Mittelmeer hat sich in der vergangenen Woche erneut eine Bootskatastrophe ereignet. Das Unglück mit über 200 vermuteten Toten fällt genau in den Zeitraum, als keine zivilen Seenotretter*innen im Einsatzgebiet waren. Sie alle mussten aufgrund mangelnder Unterstützung durch die Europäische Union bereits gerettete Schiffbrüchige selbst nach Italien bringen. “Diese Tragödie war absehbar. Die EU hat sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht”, sagt Sea-Watch Geschäftsführer Axel Grafmanns. Die Sea-Watch 2 und andere zivile Rettungsschiffe konnten unterdessen alleine gestern über 1000 Schiffbrüchige retten.
“Das nächste größere Unglück ist nur eine Frage der Zeit”, warnte Martin Taminiau, Einsatzleiter auf der Sea-Watch 2, bereits vor einer Woche. Bei einem Mammut-Einsatz zur Rettung mehrerer Tausend Flüchtender in den Tagen zuvor waren zivile Rettungsorganisationen aus ganz Europa mit der Situation weitgehend alleine gelassen worden. Sea-Watch war zum Zeitpunkt des verheerenden Unglücks genau wie alle anderen Retter*innen mit dem Transfer dieser Schiffbrüchiger in einen sicheren Hafen beschäftigt.
“Es war den europäischen Behörden bekannt, dass keine Einsatzkräfte mehr vor Ort waren. Sie hätten ohne Probleme Schiffe entsenden und somit das Unglück verhindern können. Der unterlassenen Hilfeleistung macht sich schuldig, wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten ist”, zitiert Grafmanns das Strafgesetzbuch. “Wir prüfen derzeit rechtliche Schritte gegen Verantwortliche wie Frontex Chef Fabrice Leggeri, der für das massenhafte Sterben zur Verantwortung gezogen werden sollte.”
Es geht hier keinesfalls um Ressourcenmangel, das haben vergangene Rettungsmissionen wie Mare Nostrum gezeigt: Die knappen Kapazitäten der staatlichen Stellen sind politisches Kalkül: “Wenn zu viele Rettungskräfte vor Ort sind, geht das Konzept des Sterbenlassens zur Abschreckung nicht auf,” so Grafmanns. Havarierte Schlauchboote würden zweifelsohne starke Bilder liefern für die geplante “Informationskampagne” des deutschen Innenministeriums über Risiken auf der Flucht, die Teil der Abschottungsmechanismen sein soll. In einer Studie der Oxford University wurde jedoch erst kürzlich festgestellt, dass durch Rettungsmaßnahmen wie Mare Nostrum oder die zivile Flotte, sich nicht auf die Zahl der Menschen auswirken, die sich auf den gefährlichen Weg machen, sehr wohl aber die Mortalität reduzieren.
“Moralische Leichtmatrosen und Populisten wie Österreichs Außenminister Sebastian Kurz oder Leggeri werden zwar nicht müde zu versuchen, die eigene Schuld den NGOs in die Schuhe zu schieben. Deren gezielte Desinformationskampagne entbehrt jedoch jeglicher faktenbasierter Grundlage,” so Grafmanns. “Die Geschichtsschreibung wird sie ohnehin schuldig sprechen, wir werden prüfen, ob sich das durch Gerichte beschleunigen lässt.” Der Sea-Watch Einsatz an Europas tödlicher Seegrenze steht deshalb in diesem Jahr unter dem Motto: #MenschenrechteKeineKompromisse.
Für Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Sie erreichen unsere Sprecher*innen Theresa Leisgang und Ruben Neugebauer per Mail an presse@sea-watch.org.
Bildmaterial aus den Sea-Watch Einsätzen finden Sie unter:
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