Nachdem unsere Kapitänin Carola Rackete von den Staatsanwälten auf Sizilien vergangene Woche ein zweites Mal angehört wurde – diesmal rund vier Stunden – bleibt die Sea-Watch 3, für uns in keiner Weise nachvollziehbar, weiter beschlagnahmt. Die aktuelle Crew macht aus der Not eine Tugend und nutzt die Liegezeit in Licata für notwendige Entrostungs- und Lackierarbeiten.
Natürlich setzen wir darauf, dass die italienischen Behörden das Schiff bald wieder freigeben und es dann umgehend ins zentrale Mittelmeer aufbrechen kann, um dort Menschenleben zu retten. Bis es soweit ist, bleiben die Flugzeuge Moonbird und Colibri unsere wichtigsten Tools im Kampf gegen das Sterben in der Such- und Rettungszone vor der libyschen Küste.
Nach zuletzt unruhigen Wetterbedingungen versuchen seit Angang der Woche erneut Menschen aus dem Bürgerkriegsland Libyen über die zentrale Mittelmeerroute zu flüchten. Unsere Airborne Crews haben seither vier lange Aufklärungseinsätze geflogen. Am Mittwoch stießen sie rund 50 Seemeilen nördlich der libyschen Küste auf ein Schlauchboot mit etwa 70 Menschen an Bord. Die Crew der Moonbird hat sofort die staatliche Autoritäten über den Seenotfall informiert, um eine Rettung einzuleiten. Der Versuch einer Kontaktaufnahme mit einem 30 Seemeilen entfernten Handelsschiff blieb erfolglos. So musste die Moonbird das Boot letztlich zurücklassen.
Weil der Ausgang des Notfalls heute am frühen Morgen weiterhin ungewiss war, versuchte die Besatzung das Boot nach Sonnenaufgang wieder zu finden. Leider blieb die vierstündige Suche ohne Erfolg. Informationen über einen Pull-Back, eine illegale Rückführung der Menschen nach Libyen, liegen uns nicht vor. Auch erreichten uns keine Meldungen von einer Bergung. Mehr als 24 Stunden nach Auslösung des Notfalls scheint Malta, eine Suchmission eingeleitet zu haben. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Menschen wahrscheinlich schon mehr als 48 Stunden ohne jede Hilfe auf dem Wasser. Wir können nur hoffen, dass die Menschen noch rechtzeitig gefunden werden und ihnen nicht das gleiche Schicksal blüht, wie etwa 150 Anderen, die in der Nähe ertrunken sind. Viele gelten noch als vermisst.
Derzeit wissen wir von mindestens drei Booten in akuter Seenot. Über 250 Menschen wurden von der sogenannten Libyschen Küstenwache abgefangen, mehr als 100 Tote geborgen. Zwei Boote werden noch von maltesischen Kräften gesucht.
Der Verlauf der letzten Tage ist typisch für Missionen der Airborne Crews, die mit den Flugzeugen Moonbird und Colibri über der libyschen Such- und Rettungszone im Einsatz sind. Vor dem Start checken die Aktivist*inne n die Maschinen nochmal und führen ein Sicherheitsbriefing durch. Sind die Flugzeuge dann in der Luft, folgen die Teams in der SAR-Zone – sofern keine konkreten Notrufe eingehen – bestimmten Suchmustern. Diese werden vor jeder Mission auf Basis der Wetter- und Windvorhersagen sowie den Entwicklungen auf See entworfen, später immer wieder im Basislager aktualisiert und umgehend an die Crew kommuniziert.
Jede Mission dauert bis zu acht Stunden, in denen die Aktivist*innen an Bord ständig die direkte Umgebung absuchen. Manchmal befinden sich die seeuntauglichen Boote der Verzweifelten in der Nähe der zahlreichen Ölplattformen vor der Küste. Nicht selten halten die Flüchtenden diese, wenn sie in dem Bürgerkriegsland aufs Wasser gehen, bereits für europäisches Festland.
Die Luftaufklärungsflüge sind ein enorm wichtiger, aber auch sehr kostenintensiver Teil unseres Kampfs gegen das Ertrinken im Mittelmeer. Ich bin Dir sehr dankbar, dass Du mit Deinem Support in Form einer Spende oder Fördermitgliedschaft dafür sorgst, dass unsere Airborne Crews in die Luft gehen können. Bitte bleib uns treu – gemeinsam machen wir einen Unterschied!
Viele Grüße im Namen der gesamten Sea-Watch-Crew,
Dein Tamino Böhm
Head of Airborne Operations