Die Bonnerin Pia Klemp steuerte das Flaggschiff Sea-Watch 3 Anfang November zur ersten Rettungsmission vor die libysche Küste. Im Interview gibt die 34-Jährige Einblicke in den Crew-Alltag.
Nur jedes hundertste Schiff weltweit wird von einer Frau gesteuert. Wie bist du Kapitän geworden? Oder sagt man Kapitänin?
Ich finde, Kapitän klingt besser. Nachdem ich Biologie studiert hatte, wollte ich etwas für den Meeresschutz unternehmen und habe bei der Organisation Sea-Shepherd angeheuert. Da habe ich vor sechs Jahren als Deckhand angefangen und mich hochgearbeitet, bis ich dann den Master of Yachts gemacht habe, mit dem ich jetzt alle möglichen privaten Schiffe steuern darf.
Wie bist du zur Seenotrettung gekommen?
Für jeden Kapitän ist das Pflicht. Außerdem gehört es sich einfach für uns als überprivilegierte Europäer. Es ist aber trotzdem absurd, dass diese Aufgabe hauptsächlich Freiwillige machen. Das muss man sich mal vorstellen: Plötzlich sind wir fürs Überleben von tausenden Menschen verantwortlich, weil sich die Politik nicht kümmert.
Wie macht man aus einem Haufen Menschenrechtsaktivist*innen Seeleute?
Unsere Crewmitglieder sind mit viel Herzblut dabei und in ihrem jeweiligen Bereich Profis. Viele Ärzte nehmen ihren Jahresurlaub, um bei uns an Bord arbeiten zu können. Seetauglich machen wir sie mit Trainings, zum Beispiel zum Brandschutz oder Knotenmachen. So wächst das Team gleich zusammen. Aber es kann auch echt anstrengend sein, wenn man noch nie auf einem Schiff war. Die Medienleute an Bord dokumentieren zum Beispiel unsere Rettungen mit der Kamera und da ist Seekrankheit besonders schlecht: Wenn man auf einen Bildschirm guckt, wird einem noch schneller übel.
Wie sieht dein Tag an Bord der Sea-Watch 3 aus?
Als Kapitän bin ich zwar für alles verantwortlich, aber ich muss nicht alles alleine machen, ganz viel nimmt mir der Einsatzleiter ab. Meine erste Wachschicht auf der Brücke geht von 10 bis 16 Uhr und die zweite von 22 Uhr bis 4 Uhr morgens. Da lege ich das Suchmuster fest, in dem wir die Küste abfahren und Ausschau nach Booten in Seenot halten. Je nachdem, wie das Schiff zum Wellengang steht und wie viele Knoten wir fahren, verbraucht es weniger Sprit. Das spart Geld. Außerdem gibt es jede Menge Papierkram, der erledigt werden muss, wenn wir Gerettete in den nächsten sicheren Hafen bringen.
Wann bist du an deine Grenzen gekommen?
Das war ein Tag Anfang November: 30 Seemeilen nord-östlich von Tripolis trieben Menschen ohne Schwimmwesten im Wasser und wir haben versucht, sie möglichst schnell und sicher zu retten. Doch plötzlich preschte ein libysches Patrouillenboot einfach ins Geschehen, ohne sich mit uns oder der anwesenden französischen Marine abzusprechen. Ich musste vorsichtig manövrieren, um in der Nähe des sinkenden Schlauchboots zu bleiben und gleichzeitig eine Kollision mit dem libyschen Schiff vermeiden. Es war furchtbar mit anzusehen, wie die Menschen im Wasser ums Überleben kämpften. Ich konnte die Schreie bis auf die Brücke hören. Die Libyer haben keine großen Anstrengungen unternommen, um zu helfen.
Die sogenannte Libysche Küstenwache hat 47 Menschen zurück nach Tripolis gebracht. Ihr habt die anderen Überlebenden an Bord der Sea-Watch 3 versorgt. Wie ging es den Menschen?
Oft ist die Stimmung an Bord nach einer Rettung ausgelassen. Die Überfahrt nach Italien ist für viele, die wir aus dem Wasser ziehen, der erste Moment Geborgenheit seit Monaten. Das ist eigentlich immer ein toller Moment. Doch dieses Mal mussten einige mitansehen, wie ihre Familienmitglieder auf dem anderen Schiff zurück nach Libyen verschleppt wurden. Von dort waren sie ja gerade erst geflohen. Viele haben uns ihre Narben gezeigt. Sie wurden in Libyen gefoltert. Es ist sehr traurig und bitter in ihren Gesichtern zu sehen, was sie alles erlebt haben auf ihrem Weg, bis sie endlich bei uns an Bord sind.
Was wünschst du dir für 2018?
Ich würde mir wünschen, dass die Aufrechterhaltung von Menschenrechten in Europa nicht davon abhängig ist, dass kleine Vereine genug Spenden sammeln können. Deshalb wünsche ich mir sichere und legale Fluchtwege.
Das Gespräch führte Theresa Leisgang
Foto: Lisa Hoffmann