In den letzten Tagen und Wochen haben sich die Ereignisse in Bezug auf die zivile Seenotrettung an Europas tödlichster Seegrenze überschlagen, zudem stehen richtungsweisende Entscheidungen bevor. Aus diesem Grund machen wir eine Zusammenfassung der jüngsten Entwicklungen auf dem Mittelmeer.
Die wichtigsten Entwicklungen:
Sea-Watch rettet mehr als 300 Menschen, Rettung zeigt, dass die Strategie der EU scheitert:
Am Freitag, den 13.04., hat die Sea-Watch 3 mehr als 300 Menschen aus zwei in Seenot geratenen Schlauchbooten gerettet. Die Rettung fand in internationalen Gewässern nördlich der libyschen Stadt Al Khoms statt. Besorgniserregend war dabei, dass mit 165 Personen eines der Schlauchboote extrem überladen war und das, obwohl in den vergangenen Monaten deutlich weniger Rettungsschiffe vor der libyschen Küste präsent sind und diese sich aufgrund von Drohungen durch die Libysche Küstenwache deutlich weiter im Norden aufhalten. Zudem berichteten viele der Geretteten von willkürlichen Verhaftungen und menschenverachtenden Bedingungen in den Gefängnissen in Libyen, auch solchen, die der Regierung in Tripolis unterstellt sind – damit bestätigen sie unter anderem die Aussagen aus einem UN Bericht (WDR/Monitor berichtete). Unter den Geretteten befanden sich auch Personen, die zuvor von der Libyschen Küstenwache aufgegriffen und anschließend über Monate inhaftiert wurden. Insgesamt registrieren wir in den letzten Monaten eine Veränderung beim Gesundheitszustand der Menschen auf den Booten, deutlich mehr Menschen sind stark geschwächt, wurden misshandelt und unterernährt.
Völkerrechtswidrige Vorfälle mit der Libyschen Küstenwache häufen sich:
Sea-Watch ist sehr besorgt über die anhaltenden völkerrechtswidrigen Rückführungen durch die Libysche Küstenwache, die dabei – ermutigt durch die Europäische Union (die EU Kommission etwa hatte zuletzt die Existenz einer Libyschen SAR Zone behauptet, und damit sogar Frontex Chef Leggeri widersprochen) – immer drastischer gegen zivile Seenotretter vorgehen, obwohl die Libysche Küstenwache weder über adäquate Rettungsschiffe oder Rettungsmittel in ausreichender Zahl verfügt, noch die Absicht hat, Rettungen in internationalen Gewässern unter Einhaltung geltenden Rechts durchzuführen, dazu gehört das Seerecht, die Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages stellte zuletzt in einem Gutachten fest, dass es wahrscheinlich bereits einen Bruch des Völkerrechts darstellt, die Libyer mit der Koordination einer Rettung zu beauftragen.
Dennoch hält die EU an ihrer Strategie fest, die Menschenrechtsverletzungen auf dem Mittelmeer an die Libyscher Küstenwache auszulagern, anstatt selbst Verantwortung für die humanitäre Krise an unserer Seegrenze zu übernehmen.
Todesrate auf Rekordhoch:
Passend dazu ist die Todesrate auf dem Mittelmeer derzeit auf einem Rekordhoch. Während weniger Personen in Italien ankommen, sind in absoluten Zahlen seit Januar 2018 jedoch mehr Menschen ums Leben gekommen als noch 2015, etwa einer von 32 Flüchtenden stirbt derzeit bei der Überfahrt.
Rettungsschiff Open Arms freigegeben:
Die Freigabe des Rettungsschiffes Open Arms am Montag ist ein gutes Zeichen für die zivile Seenotrettung. Gleichzeitig erfüllt es uns mit Sorge, dass die Ermittlungen aufgrund haltloser Anschuldigungen gegen Kapitän und Einsatzleiterin der Open Arms weiter andauern. Wir möchten an dieser Stelle an den Fall der Cap Anamur erinnern, die 2004 ebenfalls widerrechtlich beschlagnahmt wurde, der Freispruch gegenüber der Crew erfolgte allerdings erst nach einem jahrelangen Verfahren mit zahlreichen Falschaussagen von Seiten der Anklage.
Entscheidung zur Iuventa steht bevor:
Das Rettungsschiff IUVENTA der deutschen Organisation Jugend Rettet ist nach wie vor in Trapani beschlagnahmt, eine Entscheidung des obersten Italienischen Gerichtshofes steht am 23. April an. Zuvor hatte das Institute for Forensic Architecture von der Goldsmith University of London entlastendes Videomaterial publiziert, welches deutlich macht, dass die angeblichen Beweise, die zur Festsetzung der IUVENTA führten, aus dem Kontext gerissen und nicht haltbar sind.
Sea-Watch fordert Unterstützung für Italien:
Der Rechtsruck in Italien sowie die Kriminalisierung ziviler Seenotrettung, auch durch den italienischen Staat, sind auch Ausdruck dessen, dass das Land, das ursprünglich einen humanitären Ansatz zur Lösung der Krise auf dem Mittelmeer verfolgt hatte, damit von der Europäischen Union allein gelassen wurde. 2014 retteten die italienische Marine und Küstenwache über 100.000 Menschen; als die Unterstützung seitens der EU ausblieb, stoppte Italien 2015 weitgehend die Registrierung Geflüchteter und lies diese weiterreisen um so eine faire Verteilung in Europa zu erzwingen – die anderen Staaten reagierten mit Grenzkontrollen, sodass Italien ab Ende 2016 damit begann den Druck auf der anderen Seite des Stiefels weiterzugeben – mit allen humanitären Konsequenzen. Sea-Watch fordert die Europäische Union deshalb dringend auf, Italien bei einer humanitären Lösung der Krise auf dem Mittelmeer zu unterstützen, anstatt weiter auf Abschottung zu setzen und damit weitere Tote willentlich in Kauf zu nehmen und den täglichen Bruch von Völkerrecht.