Emily ist Head of Operations bei Airborne. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie die letzten Monate alle Hebel in Bewegung gesetzt, um wieder in die libysche SAR-Zone einfliegen zu können – und dies mit Erfolg! Die libysche Zivilluftfahrtbehörde hatte zuvor eine an den Haaren herbeigezogene Einflugerlaubnis verlangt.
Du bist Head of Operations bei Airborne. Was kann man sich darunter vorstellen?
Als Head of Operations sind wir für die operationelle Leitung unserer Aufklärungsflüge zuständig. Wir sind während der Einsätze vom Boden aus für die Koordination zuständig. Gemeinsam mit der Flugzeugcrew kümmern wir uns auch um die Vor- und Nachbereitung von jedem
gesichteten Boot und jeder Situation, die wir beobachten. In den letzten zehn Monaten lag unser Hauptaugenmerk darauf, wieder in die libysche SAR-Zone fliegen zu können. Daran haben wir intensiv gemeinsam mit unserer Partnerorganisation, der Humanitarian Pilots Initiative, gearbeitet.
Was hat euch so lange davon abgehalten, in die libysche SAR-Zone einzufliegen?
Seit 2017 sind wir hunderte Einsätze über der libyschen SAR-Zone geflogen. Bis zum 5. März 2022. An dem Tag starteten wir wie immer Richtung Süden. Wir waren drauf und dran, in die libysche SAR-Zone einzufliegen. Da teilte uns ein libyscher Fluglotse via Funk mit, dass wir hierfür eine Erlaubnis bräuchten. Wir wussten von Anfang an, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann – schließlich ist die libysche SAR-Zone internationaler Luftraum und weit weg vom libyschen Territorium. Für den Einflug in internationalen Luftraum kann ein Nationalstaat nicht mal einfach so eine Erlaubnis fordern.
Trotzdem konnten wir die Forderung der libyschen Behörden natürlich erst mal nicht ignorieren. Die potentiellen juristischen Folgen für unsere Crew und unsere Pilot:innen waren zunächst ja vollkommen unklar. Menschen, die sich solidarisch mit Flüchtenden Menschen zeigen und ihnen helfen, werden in ganz Europa vor Gerichte gestellt. Deswegen mussten wir zunächst Vorsicht walten lassen. Wir haben auf verschiedenen Wegen versucht, Licht in die sehr komplexe Angelegenheit zu bringen. Behördliche Mühlen mahlen aber bekanntlich sehr langsam. So hat es mehrere Monate gedauert, bis wir von den relevanten Stellen die Bestätigung bekommen haben, dass wir keine Erlaubnis brauchen, um in der libyschen SAR-Zone zu fliegen. Unter anderem hat uns das auch der Wissenschaftliche Dienst der Bundestags bestätigt.
Letzte Woche konntet ihr dann zum ersten Mal seit März 2022 wieder in die libysche SAR-Zone einfliegen. Wie verlief die erste Mission?
Ja, am 24.01.2023 konnten wir zum ersten mal wieder ohne Probleme einfliegen! Da ist auf jeden Fall eine Menge Anspannung von uns allen abgefallen! Seither konnten wir bereits drei weitere Einsätze fliegen. Der erste Flug und auch die darauf folgenden waren sehr ereignisreich: Wir konnten mehrere Boote in Seenot sichten. Einige davon wurden von der sogenannten libyschen Küstenwache abgefangen und zurück nach Libyen verschleppt, aber es gab auch drei Rettungen durch zivile Seenotrettungsorganisationen.
Was hat die Blockade in den letzten Monaten für die Situation auf dem Mittelmeer bedeutet?
Zivile Luftaufklärung ist integraler Bestandteil unserer Antwort auf das Sterbenlassen im zentralen Mittelmeer. Neben der Rettung von Menschen aus Seenot sehen wir es auch als unsere Aufgabe, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und diese in die Öffentlichkeit zu tragen. Wir wollen wachrütteln und Druck auf die zuständigen Behörden und politischen Akteure ausüben, ihr rechtswidriges Handeln zu unterlassen. Frontex, die sogenannte libysche Küstenwache und libysche Milizen sollen wissen, dass die Zivilgesellschaft ihnen vom Flugzeug aus genau auf die Finger schaut.
Bei dieser Blockade ging es nie um eine fehlende Genehmigung, sondern um den Versuch, uns von eben dieser Arbeit abzuhalten. Im Jahr 2022 sind über 1300 Menschen auf der zentralen Mittelmeerroute ertrunken. Über 25.000 Personen wurden von der sogenannten libyschen Küstenwache abgefangen und zurück nach Libyen verschleppt. Wegen der 10-monatigen Blockade unserer Luftaufklärungsmission blieben die meisten dieser Menschenrechtsverletzungen ungesehen, undokumentiert und somit auch ohne politische Konsequenzen.
Wie sicher ist es, dass wir von nun an wieder ungestört unsere Arbeit machen können?
Das ist eine Frage, die weder ich noch sonst wer beantworten kann. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass jede Situation in diesem Kontext fragil ist und sich die Ausgangslage täglich ändern kann. Wir sind in vielerlei Hinsicht abhängig von genau den Ländern, die uns eigentlich lieber weit weg und schon gar nicht in der Luft sehen wollen. Jeder Tag, an dem wir fliegen können ist für mich ein Grund zur Freude!
Gerade nach den letzten 10 Monaten, die längste erzwungene Pause, die wir mit unserer Luftaufklärungsmission je hatten, bin ich noch sehr vorsichtig mit meiner Zuversicht. Aber auch diesmal haben wir gezeigt, dass es sich lohnt, nicht aufzugeben! Wir werden immer wieder kommen, um das zivile Auge zu sein, wo der Rest der EU schon lange wegschaut!