Auf dem informellen Treffen der 28 EU-Regierungschef*innen in Valletta am 3. Februar 2017 zu den externen Dimensionen von Migration wird der Fokus auf der zentralen Mittelmeerroute und Libyen liegen. Viele der Themen auf der Tagesordnung sind höchst problematisch. Ziel des Gipfels ist es, die EU Außengrenzen weiter abzuschotten und sogenannten „irregulären Migrationsströmen” vorzubeugen.
Kann es einen Relaunch des EU-Türkei-Deals in Libyen geben?
Der maltesische Premier Joseph Muscat hatte ein Abkommen mit Libyen nach Vorbild des EU-Türkei-Deals gefordert. Maltas Vorschlag spitzte sich auf eine Aussetzung des internationalen “non-refoulement”-Prinzips in Krisensituationen zu. Diesen Plänen widersprach sogar Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos, die Lage im nordafrikanischen Staat sei zu instabil: „We cannot duplicate the EU-Turkey statement, the situation is not similar in Libya.”
2016 war das Mittelmeer nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) die tödlichste Grenze der Welt. Es ist zynisch, hier von einem Erfolg zu sprechen, wie es der deutsche Innenminister Thomas de Mazière bei der ersten Kabinettssitzung in diesem Jahr tat: „Die Maßnahmen der Bundesregierung entfalten ihre Wirkung. Es ist gelungen, das Migrationsgeschehen zu ordnen, zu steuern und die Zahl der Menschen, die zu uns kommen, zu begrenzen.“ Das Abkommen mit der Türkei hat jedoch seit März 2016 zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen geführt, wie Pro Asyl im Bericht “Der EU-Türkei-Deal und seine Folgen” festhielt: „In der Türkei sind schwere Menschenrechtsverletzungen alltäglich. Krieg gegen die kurdische Bevölkerung, massenhafte Inhaftierung von Journalist*innen und Menschenrechtler*innen, völkerrechtswidrige Abschiebungen von Flüchtlingen in Kriegs- und Bürgerkriegsländer – all dies sind Ausprägungen eines immer autoritärer werdenden Regimes.”
Migrant*innen in Nordafrika würden einer ähnlichen Situation ausgeliefert, sollte die EU die Mittelmeerroute noch weiter abschotten. „Wer Menschen daran hindert vor Folter zu fliehen hat das Konzept von ‘sicheren Einreisewegen’ falsch verstanden. Wir fordern eine echte Safe Passage”, sagt Sea-Watch Geschäftsführer Axel Grafmanns.
Wie ist die Lage in libyschen Lagern?
Bereits im Dezember 2015 beschreibt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in einem Bericht die katastrophalen Zustände in libyschen Internierungslagern. Daran hat sich nichts geändert: Laut der UN-Menschenrechtskommission herrschen in vielen libyschen Lagern „schwere Überfüllung, Mangel an Licht und an Frischluft“. Diese Fakten sind seit Jahren bekannt, werden aber ignoriert. Erst als auch deutsche Diplomaten vergangene Woche „KZ-ähnliche Verhältnisse in den sogenannten Privatgefängnissen“ kritisierten, kam es zu einem angebrachten Aufschrei. „Jetzt da das Auswärtige Amt die Menschenrechtsverletzungen in libyschen Internierungslagern klar benannt hat, muss die deutsche Regierung endlich handeln“, sagt Mediziner Frank Dörner aus dem Sea-Watch Vorstand.
Warum eine Finanzspritze für die Libysche Küstenwache fragwürdig ist
Anstatt sich jedoch für eine Verbesserung der dramatischen Lage auf dem libyschen Festland einzusetzen, möchte der Europäische Rat im Superwahljahr 2017 die Migration über die zentrale Mittelmeerroute stoppen. Auf Vorschlag der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini soll auf dem informellen Treffen in Valletta beschlossen werden, hierfür über 200 Millionen Euro zusätzlich zu investieren, und zwar für die Ausbildung der selbsternannten Libyschen Küstenwache und die Bekämpfung von Schmugglern.
Im August unterzeichneten EUNAVFOR MED „Operation Sophia” und die Libysche Küstenwache und Marine einen ersten Deal. Der Erfolg der bisherigen Trainingsmaßnahmen ist mehr als zweifelhaft, im vergangen Jahr kam es wiederholt zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Küstenwache und zivilen Seenotrettern. „Wir wollen eine Küstenwache, die für Rettungseinsätze geschult ist und keine, die Flüchtende auf hoher See in Lebensgefahr bringt”, erklärt Sea-Watch Einsatzleiter Johannes Bayer. Sea-Watch konnte während der Missionen im letzten Jahr beobachten, dass sich die sogenannte “Libyan Coast Guard” bisher in konkurrierende Klanmilizen unterteilt, die bisweilen mit den Menschenschmugglern kollaborieren. Ist das die Lösung: Brutale Milizen als Partner Europas? (WDR Monitor Beitrag 19.01.2017)
Europas Grenzen in Afrika
Wie das von Sea-Watch unterstützte Rechercheprojekt ‘Migration Control’ aufgedeckt hat, setzt die EU alles daran, Migrant*innen schon möglichst früh auf ihrer Reise in Afrika aufzuhalten. Sie sollen Libyen und die europäischen Grenzen gar nicht erst erreichen. In Malta diskutieren die Regierungsoberhäupter diese Woche daher auch über die Stärkung der EU-Außengrenzen. Zur Unterstützung der Grenzsicherung wird nicht nur FRONTEX aufgerüstet und mit neuen Rechten ausgestattet, sondern auch Anrainerstaaten im Rahmen des Programms „Eurosur“. Massive Drohnenüberwachung und geostationäre Satelliten Überwachung ermöglichen es, die EU Grenzen immer präziser auch von Ferne zu überwachen. Wer davon profitiert ist klar: Nicht die Migrant*innen, sondern europäische Rüstungsunternehmen.
Gleichzeitig schlägt der Europäische Rat eine Stärkung legaler Einreisewege aus afrikanischen Ländern vor – aber nur für Studierende, Professor*innen und Unternehmer*innen. „Damit wird ein ‘brain drain’ in Ländern befördert, in denen die EU eigentlich Konfliktprävention leisten will, um Staaten wieder aufzubauen”, empört sich Sea-Watch Geschäftsführer Axel Grafmanns.
Sea-Watch fordert: Europäische Werte statt Abschottung!
Die Worte des IOM-Generaldirektors William Lacey Swing sind heute so aktuell wie 2014: „Boat arrivals to Europe are a result of the complex humanitarian crisis near Europe’s external borders – not of the humanitarian life-saving policies that try to assist those in need.” In Zeiten, da Millionen von Geflüchteten und Vertriebenen von Staaten in Nordafrika, dem Mittleren Osten und Ostafrika beherbergt werden, sollte sich Europa nicht über einige Hunderttausend Schutzsuchende beschweren, so Swing.
„In diesem Sinne fordern wir den Europäischen Rat auf, sich für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Flüchtenden in Libyen und anderen nordafrikanischen Ländern einzusetzen. Statt abgeschreckt und abgefangen sollen diese Menschen mit Respekt und Würde behandelt werden. Denn dies sind die Europäischen Werte, die sich die EU-Führung eigentlich auf die Fahnen schreibt – und die wir als Zivilgesellschaft von ihnen einfordern”, fordert Grafmanns. “Die EU wird sich nicht hinter Mauern und Burggräben vor den Auswirkungen globaler Krisen verstecken können – sie muss an nachhaltigen Lösungen arbeiten, das schließt Maßnahmen in den Herkunftsländern, von denen die Menschen vor Ort auch tatsächlich profitieren genauso mit ein wie eine ganz andere Migrationspolitik, die über den viel zu eng gefassten Katalog von Asylgründen nach Europäischer Gesetzgebung hinaus geht und für Flüchtende und Migranten tatsächlich Auswege bietet.”
Für Fragen und Interviews stehen Ihnen unsere Sprecher*innen Theresa Leisgang und Ruben Neugebauer gerne zur Verfügung: presse@sea-watch.org
Titelfoto: © 2016 – Friedhold Ulonska