Paul ist Logistiker bei Sea-Watch. Er sorgt dafür, dass die Vor- und Nachbereitungen unserer Missionen reibungslos ablaufen. Wie die Corona-Pandemie die Arbeit des Logistik-Teams schlagartig verdoppelt hat und warum er in den letzten Monaten zu einem erstklassigen Autofahrer geworden ist, erzählt er uns heute.
First things first: Wie kamst du zu Sea-Watch und wieso bist du geblieben?
Paul: Ich bin auf der Mittelmeerinsel Sardinien aufgewachsen. Die Fluchtroute über das zentrale Mittelmeer ist also schon lange in meinem Leben präsent. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als die Crew rundum Kapitänin Carola Rackete im Sommer 2019 die Sea-Watch 3 in den Hafen von Lampedusa steuerte. Der Fall schlug riesige Wellen in Italien.
Neben meinem Ärger über die Behörden keimte jedoch auch Hoffnung in mir auf: Die Crew an Bord bot Salvinis Politik der geschlossenen Häfen die Stirn und setzte durch praktische Solidarität ein klares Zeichen gegen die Abschottung Europas. Seine Energie und Zeit für den Kampf gegen die rassistische und menschenrechtsverachtende EU-Migrationspolitik aufzuwenden, erschien mir mehr als sinnvoll.
Deswegen habe ich 2020 bei Sea-Watch als Fundraising-Praktikant begonnen. Von Anfang an begeisterte mich die Atmosphäre in der Organisation. Nach dem Praktikum habe ich ein Jahr lang neben meinem Studium als Aktivist hier und da mitgeholfen, bei Veranstaltungen oder Übersetzungen ins Italienische. Dann war ich einen Sommer lang bei unserer Luftaufklärungsmission Airborne auf Lampedusa und kümmerte mich um die Logistik auf der Insel. So ging das immer weiter, bis ich dann im Herbst 2021 als Schiffs-Logistiker begann. Zwei Jahre sind seit meinem Praktikum vergangen, doch meine Begeisterung für die Sache hat nicht nachgelassen!
Was sind Besonderheiten der Logistik bei einem zivilen Rettungsschiff?
Paul: Allgemein ist gut funktionierende Logistik in einer globalisierten Welt unentbehrlich, obwohl viele Menschen das nicht unbedingt so wahrnehmen. Mir wurde es mal so erklärt: Logistik ist wie W-LAN – es wird nur drüber geredet, wenn es nicht funktioniert.
Was bei Sea-Watch dazukommt: Wir arbeiten in einem politisch geladenen Klima. Staatliche Akteure und Behörden machen uns des Öfteren absichtlich das Leben schwer. Das heißt, dass viele Prozesse nicht standardisiert ablaufen und lange im Voraus geplant werden können, sondern auf Flexibilität und Improvisationsfähigkeit beruhen. Unser Job ist es, konstant auf unerwartete Entwicklungen zu reagieren und gleichzeitig immer die schnellste, sicherste und kosteneffizienteste Alternative zu finden. “Lösungsorientiert arbeiten” wird bei uns also ganz groß geschrieben.
Welchen Einfluss hatte die Corona-Pandemie auf eure Arbeit?
Paul: Corona hat unsere Arbeit komplett auf den Kopf gestellt. Seit Beginn der Pandemie hat Sea-Watch sehr stringente Corona-Maßnahmen adaptiert, die ständig von unserem Medical Department an das aktuelle Infektionsgeschehen angepasst werden. Diese Maßnahmen sehen zum Beispiel vor, dass die Besatzung erst auf das Schiff darf, nachdem sie in kleinen Gruppen eine fünf Tage dauernde Quarantäne vor Ort gemacht und anschließend ein negatives PCR Ergebnis bekommen hat. Die Schiffe sind dann sozusagen in sich geschlossene, Corona-freie Räume, weswegen die Besatzung dann auch nicht mehr in Person mit der Außenwelt interagieren kann.
Die Koordinierung der vielen Quarantäne Apartments, PCR-Tests usw. ist natürlich eine Menge Arbeit, die entfallen würde, wenn Corona nicht wäre.
Wie kann man sich einen normalen Arbeitstag bei dir vorstellen?
Paul: Grundsätzlich liegt es in meiner Verantwortung, alles zu kaufen, was auf das Schiff muss. Ich meine wirklich alles: Von Hafermilch, Gemüse und Klopapier zu hydraulischen Schläuchen, Schrauben und Schweißgeräten. Hinzu kommt die Koordinierung aller Ankünfte und Abreisen der Crewmitglieder, inklusive ihrer Quarantänezeit. An einem normalen Arbeitstag verbringe ich also sehr viel Zeit im Auto, um die vielen Einkäufe zu erledigen und um Crew Mitglieder zum PCR-Test, zum Bahnhof oder zum Schiff zu bringen. Ich war mal ein sehr unsicherer Autofahrer – die Zeiten sind aber längst vorbei.
Gab es Situationen in deinem Job, bei denen du dir im Nachhinein dachtest: „Hätte nicht gedacht, dass ich so etwas mal erlebe!“
Ich hatte schon mehrmals solche Momente in den letzten Monaten. Einmal hatte eine große Bestellung Proviant für eine anstehende Mission Verspätung und wäre erst nach dem angedachten Aufbruch des Schiffs eingetroffen. Innerhalb eines Nachmittags mussten wir also irgendwie 600kg Reis hervorzaubern, um das Auslaufen nach Plan doch noch möglich zu machen. Wir haben mit dem Transporter gefühlt alle Supermärkte der Stadt abgeklappert und mussten auch benachbarte Städte anfahren, um tatsächlich die 600kg Reis zu bekommen, denn kein Supermarkt hat natürlich so viel Reis auf Lager.
Das gehört zu unserem Job dazu: Keine Bestellung darf zu abwegig sein, keine Menge zu groß – wir müssen es irgendwie möglich machen. Denn am Ende des Tages ist das Ziel unserer Arbeit klar: Unsere Schiffe müssen so schnell wie irgendwie möglich in den Rettungseinsatz aufbrechen können, koste es, was es wolle.