Der EU-Türkei-Deal wackelt: Immer mehr Menschen fliehen wieder über das Mittelmeer nach Griechenland. Die Bewohner einer kleinen Insel am Rande Europas zeigen was es braucht, um positiv mit der „Flüchtlingskrise“ umzugehen.
Von Bob Jones
Leros – eine verschlafene kleine Insel. Dutzende verlassene Gebäude erwecken den Anschein einer Geisterstadt. Touristische Hafenpromenaden wie auf Kós oder Kreta? Fehlanzeige. Wenige Kilometer vom Hafen entfernt stoßen wir auf das lokale Flüchtlingscamp. Wir treffen Nicos Phocas, der seit vielen Jahren ehrenamtlich die verschiedenen ansässigen Flüchtlingsorganisationen unterstützt. „Das Camp hier ist in Bezug auf Auslastung und Versorgung vorbildlich im Vergleich zu der Situation auf den anderen Inseln.”
Seine Kooperationspartner der NGO Leros Solidarity setzen sich genau hierfür seit mehreren Jahren ein. Inzwischen mit Erfolg: Vereinsgründerin Martina steht vor einem riesigen Gebäudekomplex inmitten der Hauptstadt Portolago, der zur PIKPA umfunktioniert wurde: Ein offener Ort für Familien in spezieller Notlage. Geräumige Zimmer erlauben ein Mindestmaß an Privatsphäre für die Familien, die ihren Schlafbereich mit bunten Laken von dem der Nachbar*innen trennen. „Wir haben uns bei der Stadtverwaltung durchgesetzt, um Gas- und Wasseranschlüsse zur Verfügung gestellt zu bekommen. Das war alles andere als leicht”, erinnert sich Martina. Inzwischen wohnen in dem Komplex rund 60 Personen. Nur ein paar Ecken weiter befindet sich das Zentrum der österreichischen NGO 100Echoes. Volunteers aus aller Welt bieten hier Sprach- und Töpferkurse an, geben Schwimmunterricht und organisieren einen Women’s Day.
Video: In der PIKPA kommen bedürftige Familien unter
Die Regierung sowie ein Großteil der Bevölkerung ist sich der Vorteile bewusst, die die Geflüchteten für die Insel bedeuten. So entstand eine Kooperationsstruktur, die unter anderem das Schulsystem und die Krankenversorgung umfasst: Geflüchtete Menschen mit gesundheitlichen Problemen werden nach Konsultation des Camp-Arztes im lokalen Krankenhaus versorgt. In den Untersuchungsräumen hängen mittlerweile Plakate mit arabischem Vokabular an der Wand“, erzählt eine Referentin des Krankenhauses, Paschalia, bei einem Kaffee. „Ich selbst habe schwierige Situationen in meinem Leben durchgemacht, ich weiß, wie das ist.“
Diesen wünscht sich auch Fanar, die sich am Abend beim Womens‘ Day mit den Volunteers im Hub trifft, für ihren kleinen Sohn: “Ich bin 23, mein Sohn erst 3. Ich hoffe nur, dass er eine gute Bildung bekommt.” Die gelernte Journalistin möchte in Griechenland bleiben. „Mein ganzes Archiv musste ich in Syrien zurücklassen. Aber ich bin stark. Eines Tages werde ich wieder Texte schreiben, kreativ sein.” Nach einer kleinen Pause fügt sie mit einem Zwinkern hinzu: “Und das schreckliche Essen im Camp hinter mir lassen.”
Fotos: © Bob Jones
Weitere Infos:
Sea-Watch 1 in der Ägäis: https://sea-watch.org/das-projekt/lesbos/
Lesbos Solidarity: http://www.lsn.gr/
Echo100: http://echo100plus.com/en