Am 18. Oktober 2019 kontaktierte ein überfülltes Boot in Seenot, das etwa 50 Personen an Bord hatte, die Alarm Phone Hotline. Die Menschen waren aus Libyen geflohen und befanden sich in der maltesischen Such- und Rettungszone (SAR) nahe der italienischen Insel Lampedusa, als sie um Hilfe riefen.
Nach dem Notruf informierte Alarm Phone das maltesische Such- und Rettungskoordinationszentrum (RCC) per E-Mail und erhielt kurz darauf eine Empfangsbestätigung. Nachdem Alarm Phone jedoch „im Laufe des Nachmittags und am frühen Abend versucht hatten, die maltesischen Behörden anzurufen, um ihnen die aktualisierten GPS-Positionen mitzuteilen, die wir von dem in Seenot geratenen Boot erhalten hatten, konnten wir sie nicht mehr erreichen“ (Britta Rabe, Alarm Phone). Als das RCC Malta schließlich um 21.30 Uhr MESZ erreicht wurde – sieben Stunden nach dem ersten Notruf – informierten sie Alarm Phone, dass die so genannte libysche Küstenwache das Boot in der maltesischen SAR-Zone abgefangen hatte. Wie sich später herausstellte, überwachten die maltesischen Behörden das in Seenot geratene Boot aus der Luft, ohne zu irgendeinem Zeitpunkt selbst eine Rettungsaktion durchführen zu wollen. Stattdessen „warteten sie darauf, dass die so genannte libysche Küstenwache in die maltesische SAR-Zone eindrang, um die Gruppe der Geflüchteten in Seenot abzufangen und sie an den Ort zurückzubringen, von dem sie geflohen waren – nach Libyen“ (Britta Rabe, Alarm Phone). Obwohl der nächstgelegene Hafen eigentlich Lampedua war (41nm), wurden die Menschen in die Libysche Hauptstadt Tripoli zurückgeführt. Nach ihrer Ankunft an der libyschen Küste wurden sie in das Gefangenenlager Triq al Sikka transportiert. Zahlreiche Quellen verweisen auf die unmenschlichen Bedingungen des Lagers und berichten von den schweren Menschenrechtsverletzungen vor Ort. Diese Menschenrechtsverletzungen, die in engem Zusammenhang mit der unrechtmäßigen Rückkehr der Geflüchteten nach Libyen stehen, können zu keinem Zeitpunkt toleriert werden und müssen sofort rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Die Association for Juridical Studies on Migration (ASGI) und das Cairo Institute for Human Rights Studies (CIHRS) haben beim UN-Menschenrechtsausschuss eine Beschwerde gegen Italien, Malta und Libyen eingereicht. Die Beschwerde wird im Namen von zwei Personen erhoben, deren Recht auf Flucht aus Libyen durch das Aufgreifen und Zurückführen durch die so genannte libysche Küstenwache unter der Verantwortung der italienischen und maltesischen Behörden verletzt wurde.
Gemeinsam unterstützen Alarm Phone, Mediterranea – Saving Humans und Sea-Watch e.V. diese Initiative von ASGI und CIHRS. Die drei Organisationen weisen darauf hin, dass sich bis heute mehrere derartige Fälle ereignet haben und deshalb sofort rechtliche Konsequenzen folgen müssen. Tatsache ist, dass die Nicht-Interventionspraxis der maltesischen Behörden immer häufiger beobachtet wird – selbst wenn der Notfall im maltesischen SAR-Gebiet gemeldet wird. Wie von den drei Organisationen wiederholt angeprangert wurde, spielt die Überwachung der Mittelmeergrenze durch europäische Luftressourcen eine wichtige Rolle in der gegenwärtigen Dynamik im Mittelmeer. Die europäische Luftüberwachung ermöglicht es der so genannten libyschen Küstenwache, einzugreifen und Menschen nach Libyen zurückzubringen, von wo sie geflohen sind. „Obwohl die europäischen Länder sich des anhaltenden Konflikts und der unrechtmäßigen Praktiken der willkürlichen Inhaftierung von Migranten in Libyen bewusst sind, delegieren sie weiterhin Such- und Rettungsaktionen an die so genannte libysche Küstenwache und verletzen damit das internationale Seerecht und die Menschenrechte“, sagt Lucia Gennari (Mediterranea – Saving Humans). Diese Zusammenarbeit führt zu ständigen Verletzungen der Rechte von Geflüchteten im zentralen Mittelmeerraum und ist unter keinen Umständen zu akzeptieren. „Die Europäische Union verschließt die Augen vor den Beweisen, die wir täglich in unserer Arbeit sammeln. Es ist an der Zeit, dass Europa für seine rechtswidrigen Praktiken im Mittelmeerraum zur Rechenschaft gezogen wird“, sagt Bérénice Gaudin (Sea-Watch e.V.).
Eine gemeinsame Pressekonferenz findet am 28. Juli 2020 um 15.30 Uhr MESZ statt.