Ein neuer Bericht der zivilen Seenotrettungsorganisation Sea-Watch dokumentiert 60 gewalttätige Vorfälle durch libysche Milizen, etwa durch die sogenannte libysche Küstenwache, gegen Flüchtende sowie europäische zivile und staatliche Akteure auf See seit 2016. 54 der dokumentierten Vorfälle wurden dabei von der sogenannten libyschen Küstenwache ausgeübt. Die Recherche stellt erstmals eine signifikante Datensammlung zu extremen Gewalttaten libyscher Akteure im Mittelmeer zusammen. Das Dokument wird wenige Tage nach dem Kabinettsantrag an den deutschen Bundestag veröffentlicht, welcher keine Ausschlussklausel gegen das Training der sogenannten libyschen Küstenwache durch die Bundeswehr im Rahmen der EU-Operation EUNAVFOR MED IRINI vorsieht. Dies war 2022 noch der Fall. Der deutsche Bundestag berät am Mittwoch, 15. Oktober, über den Antrag 21/2068.
Der Sea-Watch Bericht mit dem Titel „Gewalttaten der sogenannten libyschen Küstenwache und anderer libyscher Milizen auf See: 2016 → September 2025” verweist auf alle von Sea-Watch dokumentierten Fälle von Gewalt auf See durch libysche Akteure seit 2016. Die Zahl der nicht erfassten Fälle wird jedoch als wesentlich höher eingeschätzt. Aufgezeichnet sind gezielter Beschuss, Vorfälle mit Todesfällen von Flüchtenden, Entführungen von Rettungsschiffen und andere Gewalttaten wie absichtsvoll gefährliche Manöver und Verfolgung von Booten in Seenot, Behinderung von Rettungsaktionen, Bedrohung von Rettungskräften, physische Schläge gegen Personen in Not und das absichtsvolle Zurücklassen von Leichen auf See. Mindestens 54 der Vorfälle ereigneten sich in internationalen Gewässern, entweder in der maltesischen oder der sogenannten libyschen Such- und Rettungszone.
Menschen auf der Flucht sind bei Weitem am stärksten von Gewalt auf See betroffen. Das Dokument erfasst lediglich die sichtbarsten und direktesten Formen physischer Gewalt, die im Kontext eines Systems gewaltvoller Verschleppungen auf See auftreten. Allein im Jahr 2024 verzeichnete die Internationale Organisation für Migration mehr als 21.700 Personen, die vom Mittelmeer nach Libyen entführt wurden, wo sie systematischer Folter, Sklaverei und sexueller Gewalt ausgesetzt sind.
Bérénice Gaudin, Advocacy Officer bei Sea-Watch, kommentiert:
Seit Jahren dokumentieren wir, wie die EU im Mittelmeer ein System von Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufbaut. Jedes neue Abkommen mit libyschen Regimen, jede Mandatsverlängerung legitimiert die systematische Gewalt. Es ist ein Skandal, dass die deutsche Bundesregierung nun die Ausbildung der sogenannten libyschen Küstenwache durch die Bundeswehr anstrebt. Eine Miliz, die auf Flüchtende und unsere Rettungsschiffe schießt.
Das Dokument wird wenige Tage nach dem Kabinettsantrag an den deutschen Bundestag veröffentlicht, welcher keine Ausschlussklausel gegen das Training der sogenannten libyschen Küstenwache durch die Bundeswehr im Rahmen der EU-Operation IRINI vorsieht. Dies war 2022 noch der Fall. Die Bundeswehr soll laut Kabinettsantrag eine führende Rolle bei der EUNAVFOR MED IRINI Mission einnehmen und damit zumindest implizit auch beim Aufbau von “Kapazitäten und Schulungen” der sogenannten libyschen Küstenwache. Der deutsche Bundestag berät am Mittwoch, 15. Oktober, über den Antrag 21/2068.
Erst letztes Wochenende meldete die Initiative Alarm Phone einen weiteren Beschuss eines Bootes in Seenot in internationalen Gewässern durch die sogenannte libysche Küstenwache. Dabei wurde einer Person in den Kopf geschossen und weitere verletzt. Ende August geriet das Rettungsschiff Ocean Viking 20 Minuten lang unter schweren Beschuss. Einen Monat später wurde auch das Rettungsschiff Sea-Watch 5 beschossen.