Die EU und ihre Mitgliedstaaten befinden sich in einer Abwärtsspirale, wenn es um die Achtung von Menschenrechten geht. Der hier vorliegende Vorschlag zielt darauf ab, die Europäische Kommission dazu einzuladen, diesem Trend entgegenzuwirken und ein EU-geführtes Rettungsprogramm im zentralen Mittelmeer ins Leben zu rufen. Leben auf See zu retten und Menschen menschenwürdig aufzunehmen ist möglich – auch kostengünstig und mit breiter Unterstützung in der Bevölkerung. Damit dies Realität wird, müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten jedoch aus früheren Erfahrungen lernen, anstatt sich auf rassistische Narrative einzulassen und Grenzschauspiele zu inszenieren, die Menschen in entwürdigende Umstände zwingen. Dieser Vorschlag zieht Lehren aus der Vergangenheit, um zu verstehen, warum frühere Programme gescheitert sind und wie diese Fehler überwunden werden können. Er beleuchtet den rechtlichen Rahmen, schlägt konkrete Mechanismen vor und legt eine Kostenabschätzung dar, die zeigt, dass die EU das Sterben auf See beenden könnte – wenn der politische Wille vorhanden ist.
Vorwort
In Zeiten, in denen Grundrechte und -normen infrage gestellt werden, lohnt es sich, deren Ursprünge zu betrachten – meist entstanden sie aus Katastrophen.
Ein tragisches Beispiel hierfür ist das Schicksal der MS St. Louis. Dieses Schiff mit fast 1000 überwiegend deutschen Juden und Jüdinnen an Bord verließ Hamburg 1939. Die meisten Passagiere hatten gültige Dokumente für eine Durchreise nach Kuba und die anschließende Einreise in die USA. Doch aufgrund antisemitischer Propaganda änderte Kuba seine Visapolitik über Nacht und verweigerte den Passagieren die Ausschiffung. Elf Tage lang kreuzte das Schiff zwischen Kuba und Florida, ohne eine Lösung für die Flüchtlinge an Bord zu finden. Trotz der sichtbaren Lichter Miamis verweigerten sowohl die kubanische als auch die US-Regierung die Aufnahme. Unterdessen befahl die Nazi-Regierung in Deutschland die Rückkehr des Schiffes und die Übergabe der Flüchtenden an ihre Verfolger. Als alle Verhandlungsversuche scheiterten, erklärten sich Frankreich, die Niederlande, Belgien und Großbritannien bereit, die Passagiere aufzunehmen. Etwa 600 der geretteten Personen gerieten später unter deutsche Besatzung, von denen die Hälfte den Holocaust nicht überlebte.
Das Schicksal der MS St. Louis steht symbolisch für die Notwendigkeit, Menschen vor Unrechtsstaaten zu schützen – sowohl vor denen, die sie verfolgen, als auch vor denen, die ihnen Sicherheit verweigern. Rechte wie das Asylrecht, das Verbot der Rückführung in unsichere Staaten und das Recht auf Rettung aus Seenot sind essenziell. Sie wurden durch die Genfer Flüchtlingskonvention, die unmittelbar aus den Schrecken der Flucht vor dem NS-Regime hervorging, im internationalen Recht verankert. Auch wenn sie nicht perfekt sind, müssen sie verteidigt werden – ohne sie droht uns erneut die Katastrophe.
Was ist das zentrale Problem im Mittelmeer?
Menschen, die vor Verfolgung in Ländern wie Libyen und Tunesien fliehen, haben keine legalen Wege, was sie dazu zwingt, gefährliche Seerouten zu riskieren. Das zentrale Mittelmeer ist eine der tödlichsten Migrationsrouten geworden, mit Zehntausenden von Todesfällen aufgrund fehlender koordinierter Rettungsmaßnahmen der EU.
Zivilorganisationen versuchen derzeit, eine Lücke zu schließen, die die EU durch kalkulierte Nicht-Hilfe immer weiter öffnet. Doch Seenotrettung ist eine staatliche Pflicht. Die EU muss handeln, um das Sterben im Mittelmeer zu beenden.
Was ist der Vorschlag „Mare Solidale“?
Mare Solidale ist ein vorgeschlagenes EU-geführtes Such- und Rettungsprogramm, das Leben im Mittelmeer retten soll.
Es zeigt, dass die EU heute beschließen könnte, ein Rettungsprogramm im Einklang mit den Menschenrechten umzusetzen, basierend auf den Lehren aus der früheren Operation „Mare Nostrum“. Es ist eine Frage des politischen Willens.
Warum wird die EU für ihre aktuellen Politiken kritisiert?
Die EU schließt Abkommen mit autokratischen Regimen und missachtet grundlegende Rechte, wodurch ein tödlicher Status quo aufrechterhalten wird.
Die derzeitigen Grenzschutzmaßnahmen und Externalisierungsstrategien führen zu Menschenrechtsverletzungen und verstoßen gegen das Prinzip der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement), indem Menschen in unsichere Orte zurückgedrängt werden. Dies hat zu mehr als 30.000 Todesfällen geführt, wobei eine unzählbare Zahl von Menschen vermisst wird.
Wie wirkt sich der Vorschlag auf Menschen auf der Flucht aus?
Das Programm würde sicherstellen, dass gerettete Personen an sichere Orte gebracht werden, an denen sie Asyl oder einen legalen Aufenthaltsstatus beantragen können.
Es enthält einen Mechanismus, ähnlich dem vorübergehenden Schutzmechanismus, der für die Ukraine genutzt wurde. Dieser ermöglicht es den Menschen, ihr Ziel selbst zu wählen und erleichtert die Ankunft.
Welche finanziellen Auswirkungen hat das Programm?
Die aktuellen Maßnahmen zur Grenzsicherung und Externalisierung, die von der menschenrechtsverletzenden EU-Agentur Frontex durchgeführt werden, kosten mehr als 920 Millionen Euro.
Das Programm „Mare Solidale“ würde schätzungsweise 240 Millionen Euro jährlich kosten.
Dies wäre ein Bruchteil des EU-Budgets, könnte jedoch die Zahl der Todesfälle erheblich reduzieren und eine würdevolle Behandlung für Schutzsuchende sicherstellen.
Der Status Quo im zentralen Mittelmeer
“Die Zukunft der beiden Mittelmeerküsten ist untrennbar miteinander verbunden.”
Zurecht erklärte dies die Präsidentin der Europäischen Kommission In ihrer Antrittsrede vor dem Europäischen Parlament im Juli 2024.1
Doch in Ländern wie Libyen und Tunesien sind Menschenrechte systematisch Gefahren ausgesetzt, insbesondere jene Rechte von Menschen auf der Flucht.2 Libyen hat die Genfer Flüchtlingskonvention nie ratifiziert, und Tunesien verfügt über kein nationales Asylsystem. Laut der UN-Fact-Finding-Mission sind Migrant:innen in Libyen einem „entsetzlichen Zyklus der Gewalt“3 ausgesetzt. In Tunesien werden Schwarze Menschen in Wüstenregionen deportiert und ohne Überlebensmöglichkeiten zurückgelassen. Gleichzeitig werden tunesische Aktivist:innen und Mitglieder der Zivilgesellschaft zunehmend verfolgt.
Da es keine legalen Wege in Sicherheit gibt, bleibt Betroffenen oft nur die gefährliche Flucht über das Meer. Doch ohne ein umfassendes europäisches Rettungsprogramm in internationalen Gewässern hat sich das Mittelmeer zu einem Massengrab entwickelt. Seit dem Ende des italienischen Rettungsprogramms Mare Nostrum im Oktober 2014 haben mindestens 20.750 Menschen ihr Leben verloren.4 Allein 2023 war das tödlichste Jahr seit 2017.
Die EU verfügt über alle notwendigen Werkzeuge, um Leben auf See zu retten. Doch der fehlende politische Wille führt zu einer unerträglichen Situation, in der Menschen auf der Flucht wie Kriminelle behandelt werden. Deals mit Autokraten, die Vernachlässigung grundlegender Rechte und ein Mangel an Rechenschaftspflicht für Gewalt durch Strafverfolgungsbehörden zeichnen ein düsteres Bild.
- Statement at the European Parliament Plenary by President Ursula von der Leyen, candidate for a second mandate 2024-2029 – 18 July 2024
- Report of the Independent Fact-Finding Mission on Libya – 27 March 2023
- Lighthouse Reports investigation Desert Dumps – 21 May 2024
- Missing Migrants Database, as of November 2024
Leben retten auf See – Lektionen aus der Vergangenheit
Die EU hat bereits gezeigt, dass das Retten von Leben im Mittelmeer möglich ist. Aus den vergangenen Jahren können wichtige Erkenntnisse gezogen werden.
Staatlich geführte Rettungsaktionen retten Leben
Die Operation Mare Nostrum führte laut Daten der italienischen Marine in nur zehn Monaten – vom 1. Januar bis zum 31. Oktober 2014 – 439 Such- und Rettungseinsätze (SAR) durch und rettete mehr als 156.000 Menschen in Seenot.5 Dieses Programm wurde von Italien mit Kosten von rund 9 Millionen Euro pro Monat finanziert und betrieben. Zu den eingesetzten Ressourcen zählten unter anderem zwei Fregatten, vier Hochseepatrouillenschiffe, sechs Küstenpatrouillenschiffe, sechs Hubschrauber und drei weitere Flugzeuge.6 Rund 700 bis 1.000 Personen waren an der Durchführung beteiligt. Im ersten Halbjahr 2014, als Mare Nostrum noch in Betrieb war, starben 17 Menschen bei der Überquerung des Mittelmeers. Im gleichen Zeitraum des darauffolgenden Jahres, nachdem das Programm eingestellt wurde, lag die Zahl der Todesopfer bei mindestens 900.7 Italien beendete die Operation, weil sich kein anderes EU-Land bereit erklärte, einen finanziellen Beitrag zu leisten oder gerettete Menschen aufzunehmen.
Dieses Beispiel zeigt, dass ein Rettungsprogramm möglich ist und zu vertretbaren Kosten umgesetzt werden kann. Dennoch ist die finanzielle Unterstützung durch mehrere Mitgliedstaaten notwendig, ebenso wie ein solidarisches System zur Verteilung geretteter Personen auf verschiedene Länder.
Ein eindeutiges Mandat ist unerlässlich
In vielen Fällen von Schiffskatastrophen im Mittelmeer war den zuständigen Behörden die Notlage bekannt, dennoch erfolgte keine Rettung. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass in vielen Ländern die Rettungsbehörden dieselben sind wie jene, die für Strafverfolgung und Grenzkontrolle zuständig sind. Dies führt zu Situationen wie in Griechenland, wo die Küstenwache aktiv dazu beiträgt, Menschenleben zu gefährden, anstatt sie zu retten. Das gleiche Problem betrifft Frontex. Obwohl Frontex mit dem EUROSUR-Überwachungssystem über ein umfangreiches Netzwerk verfügt, das Leben retten könnte, wird der Doppelauftrag – Grenzschutz und Wahrung der Grundrechte – meist zugunsten des Ersteren ausgelegt. Infolgedessen werden Menschen häufig in gefährliche Situationen zurückgeschickt, was gegen das völkerrechtliche Prinzip des non-refoulement verstößt.
Ein europäisches Rettungsprogramm muss daher ein klares und ausschließlich auf die Rettung von Menschenleben ausgerichtetes Mandat haben, das uneingeschränkt den internationalen Menschenrechtsnormen entspricht.
Seenotrettung ist Zivilschutz, keine Strafverfolgung
Beispiele wie Mare Nostrum zeigen, was möglich ist, und sie stehen nicht allein. In Spanien ist Salvamento Marítimo ein staatlicher Rettungsdienst, der dem Transportministerium untersteht und ausschließlich zivile Rettungsaufgaben übernimmt. Dieses Programm operiert unabhängig von Strafverfolgungsaufgaben und deckt mit seiner Flotte ein Such- und Rettungsgebiet von 1.500.000 km² ab, einschließlich Teilen des westlichen Mittelmeers und des Atlantiks.
Salvamento Marítimo ist zwar ein positives Beispiel dafür, wie zivile Such- und Rettungsaktionen staatlich organisiert werden können, doch stand die Struktur in den letzten Jahren unter erheblichem Druck, sich aus ihren Einsatzgebieten zurückzuziehen oder sich an Strafverfolgungsmaßnahmen zu beteiligen.
Diese Beispiele zeigen, dass Seenotrettung eine Frage des Zivilschutzes und der Verkehrssicherheit ist und nicht der Strafverfolgung. Entsprechend sollten Rettungsaufgaben im politischen Bereich des Zivilschutzes oder Verkehrs angesiedelt sein.
Das größte Hindernis für humane Aufnahme ist das Prinzip des Ersteintritts
Was geschieht nach der Rettung aus Seenot? Einer der Hauptgründe für das Ende von Mare Nostrum war die Weigerung anderer EU-Mitgliedstaaten, die Geretteten aufzunehmen. Das Dubliner Prinzip des Ersteintritts zwingt Geflüchtete dazu, in dem Land Asyl zu beantragen, in dem sie erstmals EU-Territorium betreten. Dies hat zu einer Eskalation staatlicher Gewalt geführt und europäische Solidarität behindert.
Allerdings hat Europa gezeigt, dass andere Wege möglich sind: Nach Beginn des Krieges in der Ukraine aktivierte die EU erstmals die Richtlinie über vorübergehenden Schutz. Diese ermöglichte Geflüchteten aus der Ukraine, sich legal und sicher in Europa zu bewegen und das Aufnahmeland frei zu wählen. Dies reduzierte traumatische Erfahrungen, stärkte die Selbstbestimmung der Ankommenden und stellte die größte erfolgreiche Anti-Schmuggel-Operation der modernen Geschichte dar.8
Das Beispiel zeigt: Ein Ende des Ersteintrittsprinzips ist entscheidend für eine humane und kooperative Aufnahme von Schutzsuchenden in Europa.
Mare Solidale Ein Rettungsprogramm für das zentrale Mittelmeer
Mare Solidale, ein Meer der Solidarität. Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen – wie könnte ein europäisches Rettungsprogramm heute aussehen?
Rechtlicher Rahmen
Ein europäisches Rettungsprogramm würde auf den internationalen Übereinkommen basieren, insbesondere dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS),9 dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS)10 und der Internationalen Konvention für Seenotrettung (SAR-Konvention)11. Diese Übereinkommen regeln die Rettung von Menschen in Seenot und deren Ausschiffung an sicheren Orten.12
Zusätzlich gelten Menschenrechte und das Flüchtlingsrecht, insbesondere die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)13, 14, 15 und das Prinzip des non-refoulement.16 In der Praxis bedeutet dies, dass Gerettete nur in Orte gebracht werden dürfen, wo sie Asyl beantragen können und ihre grundlegenden Rechte geschützt sind. Aktuell trifft dies auf Libyen und Tunesien nicht zu.17
Umsetzung
Die Europäische Kommission hat durch ihr Mandat die Möglichkeit, ein derartiges Programm zu initiieren und koordinieren und ist somit die geeignete Institution, um solch ein Programm zu starten.18
Die zuständige Generaldirektion für Europäisches Katastrophenschutz- und humanitäres Hilfsmanagement (DG ECHO) verfügt über die notwendigen Mittel und Verantwortlichkeiten. Der EU-Katastrophenschutzmechanismus bietet bereits eine gute Vorlage für kurzfristige Katastrophenschutzmaßnahmen, die als Grundlage für den Aufbau eines langfristigen Rettungsprogramms dienen könnte. Mit dem Emergency Response Coordination Centre (ERCC) existiert bereits eine Institution, die Rettungskapazitäten je nach aktuellem Bedarf koordinieren kann. Da das ERCC über DG ECHO finanziert wird, sendet dies eine klare Botschaft: Menschenleben auf See zu retten ist eine Aufgabe des Katastrophenschutzes. Durch die Nutzung bestehender Mechanismen wird die Politisierung von Rettungsmaßnahmen durch rechte Kräfte beendet, da Regierungen nicht mehr eigenständig Mittel zurückhalten können, um rassistische nationale Gruppen zu beschwichtigen. Zudem sollte klar sein, dass ein EU-Rettungsprogramm als Katastrophenschutzmechanismus keinen Gesetzesvollzugsauftrag enthalten würde.
Von Seenot zur Sicherheit
Koordiniert durch das ERCC stellen die EU-Mitgliedstaaten Ausrüstung und Personal aus ihren nationalen Katastrophenschutzeinrichtungen entsprechend ihrer Kapazitäten bereit. Diese Ressourcen stammen aus nicht-polizeilichen Einrichtungen, die für verschiedene Formen der Notfallhilfe zuständig sind und idealerweise auch Erfahrung im Bereich der Seenotrettung haben.
Im Rahmen des europäischen Rettungsprogramms patrouillieren diese Einheiten dann in internationalen Gewässern in den Gebieten, in denen die meisten Notlagen auftreten. Die Rettungseinsätze selbst werden von den jeweiligen Seenotrettungsleitstellen (Maritime Rescue Coordination Centres, MRCCs) koordiniert, die den besten Überblick und das größte Wissen über die betreffenden Regionen haben. In Gebieten ohne funktionierende MRCC-Strukturen oder mit Strukturen, die nachweislich Menschenrechtsverletzungen begangen haben, übernimmt die nächstgelegene funktionierende MRCC die Koordination. Unabhängig vom koordinierenden Akteur enden alle Rettungen mit der Ausschiffung der geretteten Personen an einem nächstgelegenen sicheren Ort. Unter dem Dach des ERCC wird eine Einheit geschaffen, die die Überwachungskapazitäten übernimmt, die derzeit bei Frontex liegen, um sicherzustellen, dass bestehende Informationen zur Rettung von Menschenleben auf See genutzt werden. Diese Einheit könnte eine wichtige Rolle bei der Kombination von Überwachungs-, meteorologischen und anderen situativen Daten spielen, um die MRCCs bestmöglich über potenzielle Notlagen zu informieren. Gemäß internationalem Seerecht und den Menschenrechten enden alle Rettungen in sicheren Orten. MRCCs und alle an der Rettungskoordination und -operation beteiligten Akteure müssen jederzeit die Grundrechte und den oben beschriebenen rechtlichen Rahmen einhalten.
Um die Geretteten aufzunehmen, werden offene Erstaufnahmeeinrichtungen in verschiedenen Küstenregionen eingerichtet. Diese Zentren bieten erste medizinische Versorgung, Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme mit Angehörigen, Orientierungshilfe und einen Ort zum Ausruhen nach der gefährlichen Reise. Aufbauend auf den positiven Erfahrungen mit der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine wird ein ähnlicher Mechanismus wie der Temporäre Schutzmechanismus eingeführt. Die Erstaufnahmeeinrichtung stellt eine Aufenthaltsgenehmigung aus, die ab dem Tag der Ausschiffung drei Monate gültig ist. Mit dieser Genehmigung können die Ankommenden in EU-Staaten ihrer Wahl reisen, in denen sie z. B. Familienangehörige haben, die Sprache sprechen oder Arbeitsmöglichkeiten sehen. Spätestens bis zum Ablauf der Genehmigung müssen sie Verfahren zur legalen Aufenthaltserlaubnis (z. B. Anträge auf Arbeits- oder Studienvisa, Familienzusammenführung, Asyl) einleiten.
Kosten
Das monatliche Budget für Mare Nostrum betrug etwa 9 Millionen Euro, also 108 Millionen Euro jährlich. Da Mare Nostrum jedoch nicht die Kapazitäten hatte, das Sterben auf See vollständig zu beenden, sollte ein wirksames EU-Rettungsprogramm zusätzliche Kapazitäten besitzen. Ein europäisches Rettungsprogramm mit ausreichender Kapazität für den vorhersehbaren Bedarf könnte mit einem jährlichen Budget von 240 Millionen Euro19 umgesetzt werden. Dies entspricht 0,13 % des EU-Jahresbudgets 202320 oder 28 % des Frontex-Budgets im selben Jahr.21
Die derzeitigen Ausgaben für „Grenzschutz“, Externalisierung, Verhinderung von Sekundärmigration sowie Rückführungs- und Dublinsysteme übersteigen diese Summe bei Weitem. Allein die von der Europäischen Kommission im Rahmen des Memorandum of Understanding an Tunesien versprochenen Mittel könnten ein solches Such- und Rettungsprogramm fast vier Jahre lang finanzieren.
Der vorgeschlagene Erstaufnahme-Mechanismus würde hohe Geldsummen freisetzen. Mittel, die derzeit zur Verhinderung von Sekundärmigration oder zur Abschiebung verwendet werden, wären nicht mehr nötig. Da Menschen ihren Aufenthaltsort entsprechend ihrer Bedürfnisse, Fähigkeiten und familiären Bindungen wählen können, würden die Kosten für staatliche Aufnahme- und Integrationsprogramme drastisch sinken. Durch frühzeitige medizinische Behandlung und weniger traumatische Migrationsrouten würden auch die Kosten für das Gesundheitssystem sinken. Zudem würden sich Menschen schneller in den Arbeitsmarkt integrieren und in ihren Gastländern Steuern zahlen.
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- United Nations Convention on the Law of the Sea
- International Convention for the Safety of Life at Sea
- International Convention on Maritime Search and Rescue
- IAMSAR Manuals
- European Convention on Human Rights, Art. 3
- European Convention on Human Rights, Art. 4 of Protocol No. 4
- Namely the 1951 Geneva Convention Relating to the Status of Refugees, Art. 33, the UN Convention Against Torture Art. 3, and the International Covenant on Civil and Political Rights Art. 7.
- Joint Statement: Tunisia Is Not A Place Of Safety For People Rescued At Sea, 04 October 2024
- Während die Europäische Kommission oft behauptet, kein Mandat für Such- und Rettungsinitiativen zu haben, war sie in der Vergangenheit sehr aktiv bei Initiativen, die letztendlich darauf abzielen, Such- und Rettungsmaßnahmen einzuschränken. In diesem Vorschlag würde sie lediglich als koordinierende und initiierende Institution agieren, was definitiv im Einklang mit ihrem Mandat steht.
- Unter Berücksichtigung einer Inflationsrate von etwa 25 % würde ein Programm mit den gleichen Kapazitäten wie Mare Nostrum heute etwa 135 Millionen € pro Jahr kosten. Um den Verlust von Menschenleben auf See effektiv zu beenden, wären zusätzliche Kapazitäten in Höhe von 100 Millionen € erforderlich.
- EU Budget 2023
- Frontex Budget 2023
Fazit
Dieser Vorschlag versteht sich nicht als detaillierter Plan, sondern als Anstoß für eine Diskussion über die politisch verursachte Blockade bei der Seenotrettung und Wege, diese zu überwinden. Ziel ist es, zu zeigen, dass die Europäische Kommission heute entscheiden könnte, das Sterben auf See zu beenden und die Umsetzung eines Rettungsprogramms in Einklang mit den Menschenrechten zu koordinieren. Es ist keine Frage des Mandats, der Ressourcen oder der Mechanismen, sondern allein des politischen Willens.
Ein EU-Rettungsprogramm würde die EU und ihre Mitgliedstaaten weniger kosten als der derzeitige Status quo aus Grenzdurchsetzung und Externalisierungsabkommen mit Autokrat:innen. Die menschlichen Kosten – in Bezug auf gerettete Leben und Lebensqualität – sowohl für die Ankommenden als auch für die Menschen in Europa, sind nicht in Zahlen zu fassen.
Die folgenden Organisationen unterstützen den Vorschlag Mare Solidale und sprechen sich für ein humanes und wirksames EU-geführtes Rettungsprogramm im Mittelmeer aus:
- Coalition for the El HIblu 3
- Kopin (Koperazzjoni Internazzjonali – Malta)
- RAAH! Reality about Humanity
- MAEC – Mediterranean Aid Education Center
- Mediterranea Saving Humans
- Mission Lifeline
- MV Louise Michel
- r42 – Sail and Rescue
- SAR Malta Network
- Sea-Eye
- Sea-Punks
- SOS Humanity
- TAMA
- United 4 Rescue
- Watch the Med Alarm Phone