Unsere Facebook-Moderatorin engagiert sich tagtäglich im Kampf um die Wahrheit – und gegen den Hass
„Pass auf dich auf – der ganze Hass, das macht was mit einem.“ Dieser Satz, den sie in letzter Zeit oft gehört hat, schwirrt Leonie immer wieder im Kopf herum. „Was soll er denn mit mir machen? Vieles, mit dem ich konfrontiert werde, macht mich einfach nur wütend und entsetzt. Menschen, die andere Menschen als Fischfutter bezeichnen. Als Pack, Dreck, Abschaum. Die vorschlagen, sie absaufen zu lassen. Sie sterben zu lassen. Zu versenken. Zu töten.“
Als Teil des Medienteams ist Leonie für die Moderation der Sea-Watch Facebook-Seite hauptverantwortlich. Sie ist es, die als erste die Kommentare von wütenden, angsterfüllten, manchmal rassistischen, oft menschenverachtenden Usern liest. Ungefiltert trifft Leonie dieser Hass und die negative Energie, die doch eigentlich dem Sterben im Mittelmeer gelten sollten, wie die 33-Jährige findet. Sie sieht in der Arbeit von Sea-Watch eine konsequente Antwort auf unsere Zeit und arbeitet mit daran, dort eine Öffentlichkeit zu schaffen, wo viele gerne wegschauen möchten. Deshalb pendelt sie jede Woche nach Berlin, um das Team zu unterstützen. Ihren echten Namen möchte sie in diesem Text ungern lesen – einige Morddrohungen gegen Mitglieder des Vereins hat sie inzwischen bei der Polizei zur Anzeige gebracht.
Eigentlich kommt Leonie aus der Philosophie: Sie ist es gewöhnt, rational zu argumentieren, zuzuhören und sich überzeugen zu lassen, wenn der Diskussionspartner die besseren Argumente hat. Unter den zweitausend Kommentaren, die sie während des letzten ‚Shitstorms‘ löschte, war aber kein einziger, der sachlich und in anständigem Ton zur Debatte beigetragen hätte.
„Ich sitze in der Bahn. Mir gegenüber eine Dame Mitte 50. Neben ihr ein junger Mann. Ich schließe die Facebook-App, stecke das Handy in die Tasche, schaue die beiden an. Schreiben sie diese Dinge auf Facebook? Finden sie, schwarze Menschen hätten weniger Recht auf ein Leben in Sicherheit?“ Das will sie nicht denken.
Diese Art von Arbeit wäre für viele Menschen zu deprimierend, zu hoffnungslos sogar. Nicht aber für Leonie. Sie nennt das Beispiel eines Herrn R. Er schrieb ihr spät abends, einen wirren Schwall aus Beleidigungen und Schimpfwörtern, Vorwürfen. Sie antwortete auf diese Nachricht wie immer – sachlich, höflich, bestimmt. Am nächsten Tag kam noch eine Nachricht. Er schrieb, sein Ausbruch sei ihm peinlich. Er habe nicht gewusst, wie schnell er sich hinreißen lassen würde, von überflogenen Nachrichten, Überschriften, die reißerisch sein müssen, wegen der Klicks. Schließlich, so erklärte er uns, haben wir einen Fan dazugewonnen.
Während sie bis spät am Abend vor ihrem Laptop im Büro sitzt, erklärt sie, was ihrer Meinung nach hinter dem Hass steht. Leute wie Herr R. werden mit Lügen und Verschwörungsfantasien gefüttert, man macht ihnen eine unglaubliche Angst und sie haben oft das Gefühl, vollständig die Kontrolle über ihr Leben und ihr Umfeld verloren zu haben.
Inzwischen musste Leonie auch Lösungen finden, um trotz der ständigen Hass-Kommentare die Kontrolle über ihr eigenes Umfeld zu behalten. „Ich habe im Auge des Shitstorms einen Ort gefunden, in dem ich ruhig und gefasst gegen den Hass angehen kann. Löschen. Diskutieren. Mit Fakten. Mit Geduld. Mit einem Team, von dessen Arbeit ich zutiefst überzeugt bin. Das mich unterstützt, fragt, wie es mir geht. Mich zwingt, Pausen zu machen. Mit Freunden, die die Augen verdrehen, wenn ich frage, ob ich irgendwie den Verstand verloren habe. Also, ja. Der Hass, der macht was mit dir. Aber du entscheidest, was.”